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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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du sicher noch.
    In einigen Dörfern in der Nähe wird noch gekämpft und ab und zu hören wir noch schwere Geschütze von der Front. Ich bin zu neugierig, wie es euch gegangen ist.
    Â 
    Und am 24. Dezember 1944 fügte sie hinzu:
    Â 
    Dich habe ich am liebsten auf der ganzen Welt!

    Jutta ist 16 und Cilly 19, als sie im Frühjahr 1945 in Eindhoven endlich wieder zusammenkommen. An Cillys Kragen ist ein Abzeichen der ›Royal Air Force (RAF)‹ zu erkennen, das ihr Bob zum Abschied geschenkt hatte.
    Es sollte noch bis Anfang Januar 1945 dauern, bis Jutta und ich uns endlich wieder fanden. Was für eine Freude und Erleichterung! Und wie erwachsen war sie inzwischen geworden!
    Wir hatten nur einen Wunsch: So schnell wie möglich zusammenwohnen zu können. Frei und von niemandem abhängig! Im Februar 1945 fand ich Arbeit im Notkrankenhaus von Eindhoven. Von meinem monatlichen Lohn von 180 Gulden mietete ich als Erstes eine kleine Zweizimmerwohnung nur für uns beide. Wenig später gingen wir zum Fotografen und ließen ein Foto aufnehmen. Sobald wie möglich wollten wir es an Hanna
nach Palästina und an Mutter und Jossel senden, wenn wir uns nur erst alle wieder gefunden hätten. In dem Notkrankenhaus waren anfangs vor allem ehemalige niederländische Zwangsarbeiter. Dann wurden schwer kranke Menschen eingeflogen, die aus den Konzentrationslagern befreit worden waren. Viele waren so am Ende, dass sie trotz unserer Pflege nach wenigen Tagen starben. Es tat so weh, ihnen nicht helfen zu können: Manche waren nicht viel älter als ich und wussten nicht, ob andere Familienmitglieder überlebt hatten, und besaßen doch keinerlei Kraft zum Leben mehr. Die Quälereien in den KZs hatten sie seelisch gebrochen und ihre Körper zerstört.
    In Eindhoven tauchte bald nach Kriegsende plötzlich Jakov auf. Ich war glücklich, dass auch er überlebt hatte. Aber wir spürten beide, dass wir nicht da weitermachen konnten, wo wir uns im Sommer 1943 getrennt hatten. Durch die lange Zeit der Trennung, in der wir beide so Verschiedenes erlebt hatten, waren wir uns spürbar fremd geworden. Jakov brach später mit einer neuen Freundin nach Palästina auf.
    Â 
    Nun wollten Jutta und ich so schnell wie möglich herausfinden, was aus Mutter, Hanna und Jossel geworden war. Von Hanna wussten wir, dass sie 1940 nach Palästina hatte gehen können. Aber wo waren Mutter und Jossel? Sie waren beide gesund und kräftig gewesen, als wir sie zuletzt in Frankfurt gesehen hatten. Noch auf dem letzten Foto von 1940 waren sie körperlich in guter Verfassung. Vielleicht hatten sie es geschafft, irgendwo in einem Versteck zu überleben wie
wir. Weil wir von Mutter und Jossel lange keine konkrete Spur fanden, begannen wir zuerst nach Hanna zu forschen. Eines Tages hatte Jutta auf der Straße in Eindhoven Soldaten der englischen ›Jewish Brigade‹ gesehen - sie waren daran zu erkennen, dass sie an den Schulterklappen ihrer Uniform zusätzlich einen Davidstern trugen. Was für ein Anblick: kein gelber Stern, der uns ausgrenzen sollte, sondern ein Davidstern als Zeichen für den mutigen Kampf gegen Unterdrückung und Mord!
    Wir konnten an jenem Abend gar nicht einschlafen, sondern überlegten bis spät in die Nacht, wie wir einen dieser Soldaten ansprechen könnten. Die meisten jungen Männer dieser Brigade kamen aus Palästina. So könnten wir vielleicht einen Brief an Hanna senden, denn die normale Post funktionierte noch nicht wieder. Wir hofften, Hannas Anschrift über die Evelinede-Rothschild-Schule in Jerusalem herauszubekommen, die damals das Ziel der meisten Kinder der Israelitischen Waisenanstalt aus Frankfurt gewesen war, die nach Palästina hatten ausreisen können.
    In den nächsten Tagen hielt ich nach Dienstschluss Ausschau nach jenen jüdischen Soldaten in der englischen Armee. Bald traf ich auf zwei von ihnen und sprach sie direkt an. Sie waren beide freundlich und versprachen, alles zu tun, was in ihrer Macht stand. So kamen wir uns näher. Einer der beiden, Nachum, verliebte sich wenig später heftig in mich. Irgendwann schlug er vor, dass wir doch alle zusammen - Jutta, ich und er - nach Palästina gehen sollten.
    Es war ein aufregender Gedanke - und ein so lang
gehegter Traum. Allerdings war das, solange Palästina noch englisches Mandatsgebiet war und es den Staat Israel noch nicht gab, keineswegs eine leichte

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