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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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Sache. Wir machten viele Pläne und auch Tante Mies und Tante Cok in Amsterdam wurden um Rat gefragt.
    Inzwischen wurde Nachum in Belgien stationiert, aber wir hielten engen Kontakt. Eines Tages schlug er mir vor zu heiraten. Im ersten Moment erschreckte mich der Gedanke. Ich wollte zwar um alles in der Welt mit Jutta nach Palästina, aber heiraten? Hinzu kam, dass die Engländer ihren Soldaten Ehen mit deutschen Frauen prinzipiell untersagt hatten. Da ich in Deutschland geboren war, galt ich nach englischem Recht als Deutsche - meine tschechische Staatsangehörigkeit war in diesem Fall unerheblich. Aber Nachum ließ nicht locker. Auch die Tanten und Jutta redeten auf mich ein: »Nachum ist so ein guter Mann!« Einmal sagte ich unwirsch zu Jutta: »Dann nimm du ihn doch!«
    Aber schließlich willigte ich ein, weil er sich wirklich treu und liebevoll um uns beide kümmerte. Erst heirateten wir bei einem Rabbiner nach jüdischem Ritual. Als ich wenig später schwanger wurde, schlossen wir die Ehe im März 1946 auch vor einem niederländischen Standesamt. Die beiden Tanten organisierten eine Feier im kleinen Kreis für uns.
    Nach wie vor aber weigerte sich die englische Mandatsmacht in Palästina, uns als Ehepaar anzuerkennen und mich als Nachums Ehefrau einreisen zu lassen. Schließlich wussten wir uns in unserer Not nicht anders zu helfen, als erneut illegale Pläne zu schmieden, um nach Palästina zu kommen.

    Eines Nachts im April 1946 kam Nachum aus Belgien nach Eindhoven, um zunächst mich und ein paar Tage später auch Jutta abzuholen. Er hatte den Plan, uns als Soldaten verkleidet über die Grenze nach Belgien zu schmuggeln und von dort mit Hilfe der ›Jewish Brigade‹ über Paris weiter in die südfranzösische Hafenstadt Marseille zu bringen.
    Dieser erste Teil des Plans klappte hervorragend. Ich hatte die Soldatenmütze tief ins Gesicht gezogen und tat bei jeder Kontrolle so, als würde ich schlafen. Wir wurden ohne Probleme durchgewunken.
    In Marseille saßen wir jedoch erst mal fest. Inzwischen war ich im sechsten Monat schwanger. Es war klar, dass wir drei uns würden trennen müssen, denn Nachum konnte legal nach Palästina zurückkehren, wo seine Eltern und andere Verwandte seit über zwanzig Jahren lebten. Und Jutta hatte gute Chancen in einer Gruppe vor allem polnischer und ungarischer Überlebender aus den KZ, die sich auf Hebräisch ›Af Al Pi‹ nannten, was so viel bedeutet wie ›Trotz alledem‹. Diese Gruppe spielte täglich Möglichkeiten durch, allen Widerständen zum Trotz ins Gelobte Land zu kommen, und war zu jedem Abenteuer bereit. Diesem harten Training war ich körperlich nicht mehr gewachsen, denn mein Bauch wurde täglich dicker. Trotzdem lie ßen sie mich nicht im Stich und schafften es, mich trotz strenger Kontrollen als blinden Passagier auf das französische Luxusschiff ›André le Bon‹ zu schmuggeln. Bei mir hatte ich nichts weiter als etwas Schokolade und eine Flasche Trinkwasser. Oft war ich in Versuchung, mit in den Speisesaal zu gehen und zu sehen, ob ich
nicht irgendwelche Reste ergattern könnte. Dann bekam ich aber mit, wie eine andere jüdische Frau mit einem kleinen Kind, die ebenfalls keine gültigen Papiere hatte, dabei entdeckt und vom Kapitän bei einem Zwischenstopp in Nordafrika einfach ausgesetzt wurde. Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen und so harrte ich eisern in meinem Versteck aus.
    Zwei Tage lang tobte ein Sturm, bei dem ich schrecklich seekrank wurde. Das hatte immerhin den Vorteil, dass ich nichts essen konnte und auf diese Weise etwas von meiner Schokolade sparte. Nach zehn Tagen tauchte vor uns die Küste des Heiligen Landes auf: der Hafen von Haifa mit seinen über den Karmelberg verstreuten hellen Häusern. Mein Herz klopfte bis zum Hals. Zwar war ich etwas schwach von der Fahrt ohne ausreichendes Essen, aber dennoch fühlte ich in diesem Moment eine unglaubliche Stärke in mir. Ich hatte es geschafft! Ich war in Palästina, im Gelobten Land, angekommen!
    Aber nun stellte sich das nächste Problem: Wie sollte ich vom Schiff an Land kommen? Nachdem alle legalen Passagiere mit kleinen Booten zum Hafen gebracht worden waren, blieben außer mir noch fünfzehn andere blinde Passagiere übrig - lauter Juden wie ich. Der eine hatte mit Konservendosen überlebt, der andere hatte zehn Tage nur trockenes Brot

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