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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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›Tommys‹, wie wir die englischen Soldaten damals nannten, zu begrüßen. Die ersten ›Engländer‹, auf die wir endlich stießen, waren Polen, die sich der britischen Armee angeschlossen hatten. Unter denen, die sie
begrüßten und ihnen zuwinkten, war ich die Einzige, die Englisch konnte. Als Erstes wollten sie wissen, ob es noch deutsche Soldaten in der Gegend gäbe.
    Â»No!«, rief ich und erklärte, dass die letzten Deutschen gerade über die Maas geflohen seien und danach die Brücke in die Luft gesprengt hätten. Die Fallschirmspringer, alles junge Burschen, nicht viel älter als ich, schienen erleichtert. Sie holten Zigaretten und Schokolade aus ihren Rucksäcken und teilten mit uns.
    Wirklich zum Leben erweckte mich vor allem einer der englischen Soldaten, die wenig später in Jeeps auch bei uns im Dorf einfuhren. Er hieß Bob, war vierundzwanzig Jahre - und verheiratet. Obwohl ich eine Weile glaubte, verliebt zu sein, war das Entscheidende, was er mir schenkte, etwas anderes: Er gab mir einen großen Teil meiner Selbstachtung zurück.
    Dabei war unsere Begegnung zunächst eher komisch: Eines Tages malte ich für Vics Laden auf ein Pappschild eine Kanne, aus der eine braune Flüssigkeit in eine Tasse floss, und schrieb darunter: »Wir haben wieder echten Kaffee!« Das hängte Vic ganz groß ins Schaufenster. So kamen auch englische Soldaten ins Geschäft, die zwar nicht den Text, aber die Zeichnung richtig verstanden hatten. Und Vic lud sie ein, um ihnen für die Befreiung zu danken. Von nun an waren regelmäßig Engländer im Laden. Mehrfach fragten sie mich, ob ich mit ihnen ausgehen wollte. Aber ich wollte nicht. Einmal kam ein Offizier, der Door versprach, dass sie Tee fürs Geschäft erhalten würde, wenn ich mich mit ihm abends am Fluss träfe. Tee hatten wir bis dahin noch nicht wieder einkaufen können. Also schickte Door mich am Abend trotz

der Ausgangssperre zu jener Brücke, wo der Mann mit seiner Einheit stationiert war. Es gab dort einen Wachsoldaten, der offensichtlich über mein Kommen informiert war. Es wurde schnell deutlich, dass der Offizier mich nicht nur treffen, sondern mit mir schlafen wollte. Darauf ließ ich mich aber nicht ein, sondern rannte - ohne Tee - wieder nach Hause.

    Bob war ganz anders. Auch er war mit einigen Freunden zum Kaffeetrinken in unseren Laden gekommen und fragte mich höflich, ob er mich ins Kino einladen dürfe. Zu mehreren gingen wir abends in eine Vorstellung und Bob brachte mich danach galant wieder nach Hause. Er war der erste Gentleman meines Lebens. Als er mich fragte, wie ich hieß, überlegte ich erst einen Moment, welchen Vornamen ich nennen sollte. Dann fiel mir im letzten Moment ein, dass Cilly sich im Englischen wie ›silly‹, also dumm, anhören würde. Und so blieb ich erst mal bei meinem Untertauchnamen Berthy.
    Er verstand ›Betty‹, die Abkürzung des englischen Namens Elisabeth. »Oh, like our Princess!«, meinte er und lachte.
    Ich genoss es sehr, so höflich behandelt zu werden, auch wenn uns beiden klar war, dass unsere Verliebtheit nur dauern könnte, bis er nach England zurück musste. Der Abschied war traurig und doch werde ich ihn niemals vergessen.
    Auf das Foto hat Bob, der englische Soldat, Ende 1944 für ›Berthy‹ notiert: »Best of luck und best wishes for Betty - Bob.«

    Ich wusste, dass in Limburg, wo sich Jutta befand, noch immer gekämpft wurde. So lange hatte ich meine kleine Schwester nun schon nicht mehr gesehen. War sie noch am Leben? Wie mochte es ihr in den letzten wirren Wochen ergangen sein?
    Am 13. Dezember 1944 schrieb sie mir einen Brief, der mich aber erst viel später erreichte:
    Â 
    Liebe Berthy,
    zwar weiß ich im Voraus, dass dich dieser Brief noch lange nicht erreicht, trotzdem möchte ich dir gern schreiben. Ich habe vor, dir jetzt öfter zu schreiben. Ich glaube, dass du jetzt schon befreit bist. In dem Moment, in dem ich dir dies schreibe, fühle ich mich dir ganz nahe.
    Hier hat sich in den letzten Wochen viel verändert. Wir wohnen hier mit vielen Menschen. Könnten wir doch endlich wieder zusammen sein! Jetzt weiß ich erst, wie sehr ich dich liebe and was ich an dir habe. Denn um eine große Schwester, und vor allem eine Schwester so wie dich, können mich alle beneiden. Das taten meine Freundinnen früher auch immer. Das weißt

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