Zu nah am Feuer: Roman (German Edition)
»Aber wir haben alle unsere Fehler. Also, Mädels, ich meine das auf die liebevollste Art, aber schiebt ab, und geht an die Arbeit.«
Summer bereitete sich auf einen Streit vor, denn solange sie sich erinnern konnte, ähnelte Tinas Beziehung zu ihren Töchtern einer Achterbahnfahrt. Hoch und runter, und dann wieder hoch, nie gab es einen Augenblick der Ruhe, selten eine gemeinsame Haltung, aber schon immer war ungeheuer viel Gefühl, Leidenschaft und alles Mögliche dabei.
Und ebenfalls lange hatte sie ihre Tante und ihre Cousinen um ihr Verhältnis untereinander aufrichtig beneidet. Nicht dass Camille nicht wundervoll und immer freundlich gewesen wäre, aber es war nie »ungeheuer viel Gefühl, Leidenschaft und alles Mögliche« dabei gewesen. »Ich kann ja die Tischwäsche falten.«
»Wirklich?« Chloe strahlte sie an. »Dann freue ich mich ganz offiziell, dich hier zu sehen.«
Tina schüttelte nur den Kopf. »Summer, Schätzchen, du bist so lieb.« Sie warf Chloe einen kurzen Blick zu, der besagte: Merkt euch das.
Chloe bedachte sie mit einem weiteren zuckersüßen Lächeln und salutierte; Tina lachte. »Ach, mach nur weiter damit. Tu, was du willst, und lass mich damit in Frieden.«
»Mit Freuden.« Chloe lief zu Summer hinüber; Tina zog von dannen. »Hey.«
»Hey selber.«
»Siehst du den Typ da drüben?«
Es war nur ein Mann im Laden. Der Gentlemen’s-Quar terly-Schönling, der soeben hinter den Tresen getreten war. Er hatte sich auf einen Hocker gesetzt und arbeitete jetzt an seinem Laptop. Das war der berüchtigte Braden, der neue Buchhalter, wie Summer wusste. »Ja, ich sehe ihn.«
»Gut. Und jetzt hör auf , ihn anzuschauen.«
»Warum?«
»Weil er mir gehört.« Als Summer sie lange und forschend ansah, knickte sie ein. »Okay, vielleicht noch nicht, aber ich habe es vor. Also Hände und Mund weg.«
»Es fällt mir schwer, dich und deine grünen Haarspitzen ernst zu nehmen.«
»Es ist mein voller Ernst, Summer.«
Summer betrachtete Braden erneut. Er trug eine weite Cargo-Hose und ein schwarzes, kragenloses Hemd; er war ein wenig zu schlank, und sein Gesichtsausdruck besagte: Halt dich fern. Und obwohl er mürrisch auf seinen Computer blickte und ihm die langen Haare fast bis in die Augen reichten, war er tatsächlich attraktiv. Ungefähr wie ein Tiger in seinem Käfig. »Ich werde ihn nicht anrühren. Aber …«
»Nein. Keine Widerrede«, sagte Chloe und schüttelte unwillig ihre Haare mit den grünen Spitzen. »Mach, was du willst. Mach an, wen du willst. Das hast du ja immer schon. Verdammt, du hast zwei Klassen vor dem Abschluss die Schule verlassen und bist nicht auf die Uni gegangen, weil du in der Weltgeschichte herumreisen wolltest. Weißt du, wie cool das ist? Jetzt bin ich dran und tue, was mir gefällt, hau also ab, bevor er merkt, wie toll und kurvig und unwiderstehlich du bist. Aber du kannst mir helfen, die neue Tischwäsche zu falten. Die liegt dort.« Sie deutete auf den ersten Alkoven, der wie eine Strandküche eingerichtet war, komplett mit feinem Sand auf dem Fußboden.
Summer rührte sich nicht vom Fleck. »Ich bin unwiderstehlich?«
»O bitte. Als wüsstest du das nicht. Und jetzt zisch ab.«
»Chloe?«
»Was ist?«
»Nur damit du im Bilde bist: Alle Frauen in unserer Familie sind unwiderstehlich.« Sie lächelte. »Sogar deine bevormundende, komische Cousine.«
Chloe musste lächeln und sagte: »Aber nicht vergessen: Er gehört mir.«
Summer hob kapitulierend die Hände und schlenderte durch den Laden. Keine besonders freundliche Begrüßung durch die Familie, doch sie würde sich damit abfinden. Sie war hergekommen, weil man sie darum gebeten hatte. Sie hatte sich verpflichtet zu bleiben, und kaum war sie hier, hatte der Wunsch nach Zugehörigkeit sie überkommen.
Doch sie gehörte eben nicht dazu, und bei dem Gedanken fühlte sie sich ein wenig verloren. Abgelenkt von einer langen Reihe interessanter Fotografien aus der Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende, blieb sie an der hinteren Wand stehen. Ihre Mutter liebte solche Fotos und sammelte sie seit Jahren. Auch Summer fühlte sich von ihnen angesprochen. Allerdings hatte sie nie viel darüber nachgedacht, da sie selten lange genug an einem Ort geblieben war, um ihre Kleider auszupacken, geschweige denn, sich alte Fotos anzuschauen. Die Fotoserie hier war am Meer aufgenommen worden, sie zeigte die interessanten Badeanzüge und den komischen Lebensstil von damals, aber nicht nur deshalb fand sie die
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