Zu nah am Feuer: Roman (German Edition)
brauchte, die Bande neu zu schmieden, die seit dem Tod ihres Vaters nie mehr dieselben gewesen waren.
Camille kuschelte nur die Katze und ging dann weg. Ihre Kristallohrringe klimperten laut und vernehmlich.
Summer ging hinter ihr her. »Ich möchte dir wirklich helfen«, sagte sie leise und sehnte sich danach, ein echtes Lächeln auf den Lippen ihrer Mutter zu sehen. »Du er öffnest doch einen zweiten Laden in dieser Woche. Und das ist eine große Sache. Bestimmt sind alle schon ganz aufgeregt und machen sich Sorgen wegen der verlorenen Ware nach dem Brand im Lagerhaus und ob der neue Laden rechtzeitig eingerichtet werden kann. Da könntest du doch sicher zusätzliche Hilfe brauchen.«
»Hmmm.«
Dieses »Hmmm« bedeutete, dass Camille nachdachte, aber niemand, nicht einmal Gottvater selbst, konnte sie zu einer Entscheidung drängen. Es gab nur einen Menschen, dem es je gelungen war, diese Sturheit zu überwinden – Tim Abrams.
Andere Männer hatten das seit dem Tod von Summers Vater auch versucht. Camille hatte das Zusammensein mit ihnen eine Zeitlang genossen, und dann hatte sie sich, nach einem Fahrplan, den nur sie kannte, wieder getrennt.
Summer bewunderte diese Haltung, aber nicht, wenn sie ihre gemeinsame Beziehung betraf. »Mom, vor fünf Tagen hast du mich mitten in der Nacht heulend angerufen.« Klammernd. Verängstigt. »Du wolltest, dass ich dir helfe.« Und das hatte Summer so viel bedeutet, dass sie alles hatte stehen- und liegenlassen und hierhergeeilt war.
Und doch hatte sie diese sanfte, klammernde Camille seit ihrer Ankunft auch nicht ansatzweise erlebt. »Du wolltest doch, dass ich herkomme«, wiederholte sie leise und griff nach der Hand ihrer Mutter, die sich kalt anfühlte. »Lass mich jetzt etwas tun.«
»Du hast schon sehr viel getan. Du hast Socks zurückgebracht. Du hast mit dem Fire Marshal gesprochen.«
»Mit Joe.«
»Ich habe ihn zu unserer feierlichen Eröffnung von ›Creative Interiors II‹ morgen Abend eingeladen. Er war sehr freundlich zu mir. Ich schicke ihm eine Dose mit meinen Tees. Er könnte etwas Ruhe und Frieden gut gebrauchen, glaube ich.«
Summer hatte keine Lust, an Joe zu denken, ob er nun Ruhe brauchte oder irgendetwas anderes, denn es verwirrte sie schon, überhaupt an ihn zu denken. Die Erinnerungen an ihre Jugend hingen alle mit ihm zusammen. Er war ihr bester Freund gewesen, ihr Fels. Ihr Ein und Alles. Zugegeben, ihre Beziehung war absolut asexuell gewesen, aber Summer war ehrlich überzeugt davon, dass sie eben deshalb so stark und unzerbrechlich gewesen war.
Doch dann hatte sie sich von dieser Beziehung wie von allem anderen in Ocean Beach losgesagt. Sie hatte alles hinter sich gelassen, und das Leben in Ocean Beach war ohne sie weitergegangen. Zwölf Jahre waren wie im Fluge vergangen, und inzwischen war Joe nicht mehr dieser etwas vernachlässigte Junge, sondern ein erwachsener Mann, der sie auf eine für sie unbegreifliche Weise beunruhigte.
Nein, sie wollte nicht an ihn denken, wie er da ganz ruhig und selbstverständlich in seinem Büro saß, auf seinem Schreibtisch eine wunderschöne Frau liebte, die ihn ohne jeden Zweifel für sich beanspruchte.
Sprachen die beiden bis in die frühen Morgenstunden miteinander? Nannte sie leise seinen Namen, wenn er wegen seiner früheren Alpträume im Schlaf vor Angst aufstöhnte? Wusste sie, dass er schier süchtig war nach Dr. Pepper, Cola dagegen nicht ausstehen konnte?
Dies war wohl zweifellos der Fall, und genau das brachte Summer ins Grübeln, obwohl sie keinerlei Recht dazu hatte.
Aber hier war eben nichts mehr wie früher. Nicht Joe, nicht ihre Mutter, nichts.
Womit sie im Grunde leben konnte. Sie wollte nur ihren Platz finden. »Mutter.«
Camille seufzte, wurde versöhnlicher. »Liebling, hör mal zu. Du bist gekommen, als ich dich anrief. Das bedeutet mir ungeheuer viel.«
»Und ich bin immer noch hier. Bereit, mich noch mehr einzusetzten.«
»Aber wie lange? Ich meine, ich sehe einfach nicht, dass du bleibst, Summer. Wirklich nicht.«
Warum die Antwort sie schmerzte, obwohl es der Wahrheit entsprach, war Summer selbst unklar. Camille hatte nie geklagt, hatte nicht einmal durchblicken lassen, dass sie von Summer mehr erwartet hätte. Sie hatte überhaupt nichts gesagt, was Summer ihrerseits als stillschweigendes Einverständnis in ihre Abwesenheit gedeutet hatte.
Doch jetzt fragte sie sich, was sie alles versäumt haben mochte. Was ihr Fernbleiben für Camille bedeutet hatte. Vielleicht
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