Zu nah am Feuer: Roman (German Edition)
und doch blickte sie Joe hinterher und empfand dabei eine so starke Sehnsucht, dass sie ihn fast zurückgerufen und ihm damit gezeigt hätte, was sie empfand.
Seufzend ging sie los, um die Tischwäsche zu suchen, die sie zu falten versprochen hatte. Der kleine Alkoven war als Wohn-Esszimmer eingerichtet. Erstaunlicherweise war Camille bereits dort und ging einen kleinen Stapel neuer Tischdecken durch.
Summer zog eine Tischdecke aus dem Karton – sie war aus weicher Chenille, in den Farben eines Sonnenuntergangs gehalten: Gold-, Braun- und Rotblautöne – und versuchte, sie ebenso mühelos zu falten wie ihre Mutter. »Joe ist hier. Er möchte mit dir reden.«
»Ich weiß. Tina kommt zuerst dran.«
Summer legte die Tischdecke über die Rückenlehne eines hellblauen Stuhls und glättete die Kanten. »Er vermutet, dass es sich um Brandstiftung handelt, glaube ich.«
Camilles Hände hielten kurz inne. Dann nahm sie die Tischdecke, die Summer eben gefaltet hatte, faltete sie anders zusammen und drapierte sie auf einem Tischdeckenständer aus Eiche. »Passt nicht zu dem Blau.«
»Stimmt, aber ich habe von dem Brand gesprochen.«
»Also ich spreche von der grauenhaften Farbzusammenstellung.«
Summer spürte, wie Enttäuschung in ihr aufstieg. »Mom, warum machst du das? Deine Gefühle vor mir verbergen.«
Camille wirkte aufrichtig erstaunt. »Tue ich das?«
»Ja. Immer. Tina und ihre Töchter verbergen überhaupt nichts voreinander.«
Und tatsächlich hörten sie, wie Chloe und Tina sich im Verkaufsraum wegen irgendeiner Nachricht auf dem Anrufbeantworter in die Haare kriegten, woraufhin Camille ironisch lächelte. »Das kann man wohl sagen.«
»Bitte sag mir, woran du denkst«, sagte Summer. Lass mich an dich heran .
»Also gut.« Camille verschränkte die Finger. »Ich denke über Dinge nach, die ich normalerweise verdränge. Über den ersten Brand im Lagerhaus. Deinen Vater.« Sie blickte aufseufzend auf ihre Hände. »Tim war mein Leben.«
Summer spürte, dass ihr Herz unregelmäßig schlug, und trat einen Schritt näher. »Es ist doch ganz normal, wenn du an ihn denkst, das Lagerhaus ist schließlich zum zweiten Mal abgebrannt.«
»Der erste Brand war ein Unfall.« Camille nahm noch eine Tischdecke aus dem Karton, faltete sie. »Das hat die Versicherung festgestellt.«
»Ja.« Summer verspürte einen Kloß im Hals. »Es war ein schrecklicher, tragischer Unfall. Und er liegt sehr lange zurück.«
Camille warf die Tischdecke – schlecht gefaltet – auf einen hochbeinigen Beistelltisch. Das einzige Anzeichen ihres Kummers. »Jetzt, da du hier bist, kommt es mir vor wie gestern.«
Summer wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Das Letzte, was sie wollte, war, den Kummer ihrer Mutter zu vergrößern. Es wäre für sie beide besser, wenn sie wieder führe, doch ihr Fortgang hatte die Distanz ja erst geschaffen, außerdem hatte sie versprochen, eine Weile zu bleiben. Ihre Mutter mochte verwirrt, einsam, gekränkt sein, aber sie hatte ihrer Mutter ihr Wort gegeben.
»Ich weiß, dass Joe Brandstiftung vermutet«, sagte Camille. »Aber in dem Lagerhaus befand sich nichts, was nicht ersetzt werden kann. Außer Tina und mir hat niemand irgendetwas unterschrieben. Niemand außer uns käme in den Genuss der Versicherungszahlung.«
»Es muss sich ja nicht um Versicherungsbetrug handeln. Vielleicht hast du jemanden verärgert. Einen Geliebten?«
Camille schüttelte heftig den Kopf. »Nein.«
»Den Stadtstreicher?«
»Nein. Das ist ein sehr netter Mann. Nur eben obdachlos. Er ist sehr vorsichtig.«
»Dann also vielleicht ein Mitglied der Familie? Diana? Madeline? War nur ein Witz«, setzte Summer hinzu, als Camille sie streng musterte. »Ich finde nur, bei ihren Allüren könnten einige Tage Jugendarrest vielleicht nicht schaden.«
Darüber musste Camille lachen. Socks betrat das Zimmer und strich ihr um die Beine. Sie hob sie auf und legte den Kopf auf ihren Nacken. »Es ist nicht Brandstiftung.«
»Du hast sicherlich recht«, sagte Summer vorsichtig; sie wollte sich nicht streiten.
Camille schloss die Augen. »Und wenigstens ist diesmal, Gott sei Dank, niemand …«
Aber sie führte den Satz nicht zu Ende. Sie musste es auch nicht. Weil sie es nämlich beide wussten.
Wenigstens war niemand ums Leben gekommen.
5
Seit drei Tagen arbeitete Joe praktisch rund um die Uhr. Da waren die Inspektionen, die Besprechungen zur Bauplanung im Rathaus, da mussten Brände untersucht und Berichte
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