Zu nah am Feuer: Roman (German Edition)
trotz ihrer Anfang vierzig trug sie am liebsten Kleidung aus dem Victoria’s-Secret-Katalog. Heute trug sie ein Seidenhemdchen mit dazugehörendem Rock und Schnürsandalen. Das eine Ohr zierten vier große Silberohrringe, passend zu den silbergrauen Strähnen, die das dunkelrote Haar durchzogen, das ihr in dichten Locken auf die Schultern fiel. Sie hatte die funkelnden, grünen Augen einer Elfe und das Lächeln einer Heiligen, als sie auf Summer zuging und sie fest umarmte. »Liebste Summer. Es war aber auch höchste Zeit, dass du dein hübsches Gesicht hier zeigst. Ich dachte schon, du würdest wieder abreisen, ohne im Laden vorbeigekommen zu sein.«
Ein leiser Vorwurf, der leicht zu verkraften war. »Ich fahre noch nicht wieder ab.«
Tina beließ es dabei und umarmte sie einfach nur noch einmal. »Die Mädchen sind begeistert.«
Madeline sagte gar nichts, aber schließlich machte sie ohnehin nur selten den Mund auf. Sie verdrehte nur die Augen.
Auch Diana sagte kein Wort, sondern las ungerührt in ihrer Cosmopolitan weiter.
Ach ja, die Mädels waren begeistert, sie zu sehen. »Na, kein Geld mehr?«, fragte Summer.
Diana produzierte eine Riesenkaugummiblase, las weiter und zeigte ihr den Stinkefinger. Madeline brachte tatsächlich ein leises Lächeln zustande und zuckte mit den Schultern.
Chloe kam aus den hinteren Räumen und beherrschte den Ausstellungsraum sofort allein aufgrund ihrer Präsenz. Sie war neun gewesen, als Summer von zu Hause weggezogen war. Vor kurzem war sie einundzwanzig geworden, und zur Feier dieses glücklichen Ereignisses hatte sie sich die Spitzen ihrer blonden Haare grün gefärbt, passend zum grünen Lipgloss. Laut Camille hatte Chloe die Gewohnheit, ihre Haarfarbe mit den Jahreszeiten zu wechseln, immer zu sagen, was ihr gerade durch den Kopf ging, und die Männer zu verlassen, ehe diese sie verlie ßen – was tatsächlich ein genereller Charakterzug in der Familie zu sein schien. Im Augenblick hatte Chloe Sommerferien und arbeitete Vollzeit im Laden – mangels besserer Angebot, aber, wie sie es selbst ausdrückte: Ein Mädchen musste ja schließlich essen.
Weil sie damals bereits alt genug gewesen war, um sich noch richtig an Summer erinnern zu können, nahm sie Summer den Fortgang auch am stärksten übel. Und so umarmte sie Summer nicht, sondern schenkte ihr ein kühles, gar nicht freundliches, sondern kummervolles Lächeln. »Ah. Die verlorene Tochter kehrt schließlich heim.«
»Ich war Weihnachten hier«, rief Summer ihr in Erinnerung.
»Und wie lange? Zwei Minuten?«
»Zwei Tage.«
»Ah. So lange. Na, ich hoffe, du bist hier, um zu arbeiten.«
»Sie hat Urlaub«, sagte Tina.
»Hey, ich habe auch Ferien und arbeite trotzdem«, gab Chloe zurück.
»Weil du mir eine Menge Geld schuldest, Liebling.« Tina lächelte und tätschelte ihrer Tochter liebevoll die Wange.
»Ich will hier nicht Urlaub machen«, sagte Summer, die es langsam leid war, das zu erklären. »Sondern arbeiten, solange ich hier bin. Ich möchte mit euch allen zusammen sein.«
Madeline schnaubte verächtlich.
Diana lachte.
Und Chloe stimmte ein.
»Es ist so«, sagte Summer.
»Mal sehen, wie lange das dauert.«
Diana ließ noch eine Kaugummiblase platzen und legte die Zeitschrift aufgeschlagen hin, damit alle einen Blick hineinwerfen konnten. »Seht mal, mein Horoskop sagt, dass heute ein guter Tag für mich ist, um mir einen Mann zu angeln.«
»Was steht in meinem?«, fragte Chloe und stieß Madeline zur Seite, damit sie besser sehen konnte.
»Dass du ein geborenes Miststück bist, aber weil es deine Natur ist, solltest du nicht dagegen ankämpfen.«
Chloe lächelte. »Ausgezeichnet. Was steht in Summers Horoskop?«
Madeline drängte sich wieder vor und blätterte um, um es herauszufinden. Diana las laut vor: »Es sagt, und ich zitiere: Folge deinem Herzen . Hm. Wohin dich das wohl führt? Jedenfalls nicht hierher, das war noch nie so.«
»Die Zeiten ändern sich«, gab Summer zurück und bemühte sich, nicht beleidigt zu sein. »Und ich bleibe, bis der Bericht zum Lagerhausbrand fertig ist. Das kann noch einige Wochen dauern.«
»Wochen? Das ist gut«, sagte Chloe mit eigennütziger Schadenfreude. »Ich habe nämlich zufällig ein paar Arbeiten zu erledigen, die ich gern abgeben würde. Du kannst die neuen Tischtücher und Servietten falten. Ich kann so etwas nicht besonders gut.«
»Das kann man wohl sagen«, pflichtete Tina ihr bei, deren Kristallohrringe perfekt zu Camilles passten.
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