Zu nah am Feuer: Roman (German Edition)
ausgebrannten Geschäft von »Creative Interiors II« stand, war ihr klar, dass sie von Anfang an hierher hatte kommen wollen. Um das Gebäude bei Tageslicht zu sehen.
Es war mit gelbem Absperrband und »Achtung«-Schildern gesichert.
Summer beschlich ein Gefühl, als wäre ihr ganzes Leben mit gelbem Absperrband und »Achtung«-Schildern versehen.
Achtung – lauf nicht so weit weg, dass du vergisst, woher du kommst.
Achtung – wende dich nicht von jenen Menschen ab, die dir wichtig sind. Es ist nicht leicht, sie zurückzugewinnen.
Achtung – versuche nicht, an den Ort zurückzukehren, an dem die Dinge zuletzt einen Sinn ergaben. Du wirst dann nur feststellen, dass du dich verloren fühlst.
Sie duckte sich unter dem Absperrband durch und sah ein Auto des MAST-Teams auf dem Parkplatz stehen. Joes Wagen . Sie ging die drei Vorderstufen hoch und spähte ins Gebäude. Die Fassade war mit Brettern vernagelt worden, aber irgendwer hatte die Absperrung entfernt, um ins Gebäude hineinzugelangen. Auch sie ging hinein.
Ein Bild der Verwüstung bot sich ihr. Die Wände waren schwarz, die Fenster zerbrochen, das Mobiliar nur noch nasser, verkohlter Schutt. Der Raum roch furchtbar, und schon beim ersten Atemzug überfielen sie die Erinnerungen daran, wie sie von den Flammen eingeschlossen war.
Joe steckte den Kopf aus einem der Alkoven und sah, dass sie sich den Bauch hielt. Sofort lief er auf sie zu.
»Ich war nur gerade in der Nähe …« Sie rang sich ein Lächeln ab, was ihr jedoch schwerfiel, weil sie Mühe hatte, richtig durchzuatmen; schließlich gab sie es auf. »Ach, verdammt«, sagte sie leise und sank in dem feuchten Schmutz auf die Knie. »Diese verdammten Sternchen vor den Augen gehen mir langsam wirklich auf die Nerven.«
»Du dürftest eigentlich gar nicht hier sein.« Joe trug einen Overall, Handschuhe und Stiefel und war von Kopf bis Fuß von Schmutz überzogen. Er zog die Handschuhe aus, warf sie weg und hockte sich neben Summer. »Du bist ja ganz blass.«
Beim Blick in sein Gesicht, das ganz rußig und verschwitzt war, wurde ihr klar, dass sie in kein Gesicht der Welt lieber schaute. »Ich werde mich schon nicht übergeben.« Im Grunde wusste sie nicht, ob sie damit ihn oder sich selbst beruhigen wollte.
»Hast du immer noch diese kleinen Punkte vor den Augen?« Er kam mit dem Kopf noch näher – als könnte er dann die Punkte sehen.
»Nein.«
Er entspannte sich ein wenig, blieb aber so nahe, dass sie die goldenen Pünktchen in seinen Augen sah und jede einzelne Wimper hätte zählen können. Über der Augenbraue hatte er eine Narbe, Folge der Faustschläge seines Vaters, als Joes Ausweichmanöver einmal in dem Fernsehapparat gelandet war. Joe hatte noch andere Narben, und jede einzelne hatte ihr damals das Herz gebrochen.
Genauso wie sie – vermutlich – sein Herz gebrochen hatte.
Sie wollte das wiedergutmachen, wollte, dass er sie anlächelte, die Wärme und Zuneigung spürte, die sie ihm damals entgegenbrachte. Gott, wie sehr sie dies von ihm brauchte. »Sieht … hier drin nicht so schlimm aus, wie ich dachte.«
»Na ja, das Badezimmer ist im Eimer. Dort ist der Brand ausgebrochen. Aber dieser Raum …« Er sah sich um. »Den könnte man sogar retten. Die hinteren Räume sind allerdings völlig verwüstet, die brauchen einen neuen Fußboden, einen neuen Anstrich, außerdem sind die Wasserschäden ziemlich groß …« Er sah ihr ins Gesicht und unterbrach sich. »Aber wieso erzähle ich dir das; tut mir leid. Warum bist du gekommen?«
»Das habe ich doch gesagt. Ich war gerade in der Nähe.«
»Die Wahrheit bitte.«
Weil ich mich verloren fühle. Nicht mehr weiterweiß. Mir der Boden unter den Füßen wegrutscht .
Joe unterbrach die Gesprächspause nicht, sondern wartete. Einfach zu schweigen, das hatte ihn nie so gestört wie sie. »Ich wollte dir noch ein Geheimnis verraten«, sagte sie.
»Muss ich dir zuerst eines von meinen verraten?«, fragte er vorsichtig.
Was für ein Kerl. »Nein, das gibt’s umsonst. Ich habe dir doch gesagt, dass ich wegen meiner Mutter nach Ocean Beach zurückgekommen bin. Erinnerst du dich?«
»Ja.«
»Und ich habe wirklich geglaubt, dass das der Grund wäre, aber es ist nicht die ganze Wahrheit.« Sie schaute sich um. Der Ruß und das Wasser waren überall, ein deprimierender Anblick. »Ich bin auch wegen mir gekommen. Ich musste neue Bindungen eingehen. Gefühlsmä ßige.«
Er sah sie unsicher an. »Hast du mit Kenny
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