Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
Schafwolle.
Besbasa gab ihm diese Wolle sehr ungern. Konnte man sie nicht zu Nützlicherem verwenden? Sie mochte den Lehrer sowieso nicht recht leiden und verfolgte alles, was er tat, mit größtem Misstrauen. »Muss er nachts so lange aufsitzen und in seiner Lampe so viel Öl verbrauchen? Und was murmelt er dabei vor sich hin? Gewiss unterhält er sich mit den Dschinnen, die ihn besuchen.«
»Lauschst du an seiner Tür?« fragte Muhammad, dem gegenüber sie ihrem Herzen Luft gemacht hatte, belustigt. Und dennoch verfolgte ihn seit dieser Zeit das Gerede seiner Amme, und seine Neugier, dem Treiben Jachjas auf den Grund zu kommen, wuchs.
Es mochte etwa eine Stunde vor Mitternacht sein, als sich Muhammad von seinem Lager erhob. Leise, um Welid nicht zu wecken, stand er auf, zwängte sich durch die schmale Fensteröffnung und trat auf die von Arkaden getragene Veranda, die rund um den Innenhof lief. Er beugte sich über die Brüstung. Richtig, aus Jachjas Zimmer drang ein schwacher Lichtschein.
Sonst war alles dunkel. Nicht Mond noch Sterne ließen sich blicken, die Wolken hingen regenträchtig am Himmel, der Wind wehte vom Meer her und es roch nach Feuchtigkeit und beginnendem Frühjahr.
Jachja hörte nicht, dass sich die Tür seines Zimmers in ihren Angeln drehte, so versunken war er in seine Tätigkeit. Er saß auf einer Matte in der Mitte seines Zimmers, und vor ihm auf einem länglichen, niedrigen Tisch brannte ein Öllämpchen, dessen flackerndes Licht seinen Schatten übergroß und gespenstisch an die Wand warf. Die Feder flog übers Papier, und während er schrieb, bewegte er die Lippen zu einem monotonen, halb singenden Sprechen, das aber zu leise und zu undeutlich war, als dass Muhammad es hätte verstehen können. Dann ließ er die Hand sinken, schwieg und blickte vor sich hin mit einem Ausdruck im Gesicht, als lauschte er auf unhörbare Stimmen, um bald darauf abermals zu rezitieren und zu schreiben.
Auf Zehenspitzen trat Muhammad hinter den Rücken des Schreibenden und sah ihm über die Schulter. Und las - oh, er hatte scharfe Augen, und so trübe brannte die Lampe nicht, dass er die deutlichen Schriftzüge seines Lehrers nicht hätte entziffern können:
»... in der Vollkraft aller seiner Leibes- und Verstandeskräfte, einsichtig, scharfsinnig, sprachgewaltig, unermüdlich im Erwerben von Kenntnissen, mäßig im Essen und im Trinken, wahrheitsliebend, edelmütig, erhaben über jedwede Niedertracht, ohne Geldgier, die Gerechtigkeit über alles liebend, fest entschlossen, das zu tun, was er als notwendig erkennt, und es kühn ausführend, ohne Furcht und ohne Schwermut.«
Seine Augen hingen an dem unscheinbaren Blatt Papier, als wäre ein überlebensgroßes Bild darauf entworfen worden. »Ist damit der Prophet gemeint?« fragte er unvermittelt.
Jachja fuhr zusammen, als hätte ihn jemand bei einer Missetat ertappt. Jäh wandte er den Kopf, erkannte den Fragenden, der Zorn legte sich so schnell, wie er aufgeflammt war, und seine Lippen verzogen sich zu einem nachsichtigen Lächeln. Denn er sah in diesem Schüler sich selbst, wie er so - gerade so voll Ungeduld und Verlangen - vor seinem Meister gestanden und dieser ihn in die Tiefe seiner Gedankengänge Schritt für Schritt eingeführt hatte.
Bis zur Stunde hatte sich Jachja gescheut, seine Schüler mit al-Farabis Gedankengut bekannt zu machen. Zu große Anforderungen stellte es an das Denken, dessen Fassungsvermögen mein erst durch Übungen geweitet haben musste, ehe man es mit all den Erkenntnissen erfüllen konnte, die den großen Meistern zuteilgeworden waren. Aber nun, das empfand er, war die Stunde gekommen, wo er damit beginnen musste, wenn er nicht seinem Meister wie seinem Schüler gegenüber schuldig werden wollte.
Doch er beantwortete Muhammads Frage nicht direkt, sondern mit einer Gegenfrage: »Was, mein Sohn, meinst du, ist es, wodurch der Mensch zum Menschen wird?«
Muhammad spürte, dass Jachja keine Erwiderung von ihm erwartete, sondern mit seiner Frage bloß dem Gespräch, das er eröffnete, eine ganz bestimmte Richtung geben wollte. Er ging deshalb um den schmalen Tisch herum und setzte sich seinem Lehrer gegenüber. Das Lämpchen blakte zwischen ihnen, es war nahe am Erlöschen, aber aus einem Krug, der danebenstand, goss Jachja noch ein wenig öl nach, sodass die Flamme wieder Leben bekam und die beiden Gesichter erhellte.
»Was den Menschen zum Menschen macht«, beantwortete Jachja die aufgeworfene Frage selbst, »ist eine
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