Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
Aufruhr gegen den rechtmäßigen Kalifen ist gleichbedeutend mit dem Abfall von Allah und verdient nichts anderes als den Tod!«
»Auch wenn diesen Huldigungseid ein Mann empfing, der ein schlechtes Leben führt? Der die Gebote Allahs missachtet, sich über alle seine Verbote hinwegsetzt?«
»Mein Vater sagt, die Frommen hätten nur das Recht, ihm ins Gewissen zu reden oder sich ihm fernzuhalten - nicht aber, sich gegen ihn aufzulehnen. Allah wird ihn richten am Jüngsten Tage. Er allein ist allmächtig und allwissend.«
»O du Sohn des Untadligen! Hat dein Vater auch gesagt, dass ein solcher Anwärter auf den Höllenbrand der rechte Vorbeter sei, der den Gläubigen voranschreiten könne, nicht nur zum Kampf gegen die Götzenanbeter, sondern auch zum Kampf gegen den Unglauben in der eigenen Brust? Und hier liegt doch die Entscheidung über jedes Menschen Schicksal - ob ewige Seligkeit oder unabwendbare Verdammnis.«
Muhammad schwieg, und Stille breitete sich über ihm aus wie über einem Acker, in den der Sämann seine Samenkörner hat fallen lassen. Endlich sagte er: »Sind das, was du dort aufgeschrieben hast, die Bedingungen, die ein Herrscher zu erfüllen hat, wenn er ein rechter Imam sein will?«
»Ein Teil der Bedingungen, ja. Er muss Gerechtigkeit üben sowohl an den Seinen wie an den ändern, er muss Ersatz gewähren jedem, der Unrecht litt, er darf weder widerspenstig noch hartnäckig sein, wenn er zu etwas Rechtem aufgefordert wird, bösen Rat aber muss er durchschauen und ihm widerstreben - das lehrte Abu Naßr al-Farabi, mein Meister.«
»Wer aber von all den Kalifen erfüllte diese Forderungen? Und wie oft war die Welt ohne einen solchen rechten Imam?«
»Die Welt, mein Sohn, würde zugrunde gehen, wenn sie auch nur eine einzige Stunde ohne einen solchen Imam wäre, der auf dem Weg zum Heil voranschreitet. Freilich ist er nicht immer sichtbar. Doch wenn er verborgen bleibt, wird seine Lehre offenbar, und seine Sendboten zeigen sich unter den Gläubigen.«
»Und entstammt er immer dem Geschlecht des Propheten?«
»Gewiss, junger Freund - nur dass sich dieses Geschlecht nicht durch körperliche Zeugung fortpflanzt, sondern durch geistige.«
»Sodass jeder Araber ...?«
»Sodass jeder Sohn einer Berbersklavin, vom Hauch seines Geistes berührt, den Gläubigen voranschreiten kann in der Hingabe an den Willen Allahs.«
Wieder flackerte das Lämpchen, aber Jachja füllte kein Öl nach, sodass es erlosch und den Raum in völliger Dunkelheit zurückließ.
»Du musst jetzt zu Bett gehn, Muhammad, es ist schon sehr spät.«
»Sage mir nur noch eines, Ehrwürdiger: Entstammt auch dies Letzte der Lehre deines Meisters?«
»Es entstammt der Einsicht, die ich gewann, als ich mich in die Lehre meines Meisters versenkte.«
»Und meinst du, dass mein Vater diese Einsicht teilen könnte?«
Auf diese Frage antwortete Jachja nicht.
Ein Albtraum schreckte Welid mitten in der Nacht aus dem Schlaf. Unwillkürlich wandte er sich nach dem Gefährten, wie um sich zu vergewissern, dass alles, was ihn gequält hatte, nur ein Spuk sei-aber das Lager neben ihm war leer.
Eine ihm selbst unerklärliche Angst überfiel ihn, als lauerte auf Muhammad eine tödliche Gefahr. Er sprang aus dem Bett, schwang sich übers Fensterbrett auf die Veranda, sah gegenüber aus Jachjas Zimmer den Lichtschein fallen, und es zog ihn mit unwiderstehlicher Gewalt dorthin.
Die Dunkelheit legte sich über Welid wie ein schützender Mantel. Auf nackten Sohlen huschte er unhörbar wie eine Katze über die festgetretenen Wege. Gegenüber von Jachjas Fenster stand ein Rosenbusch. In den hinein drückte er sich, der Dornen nicht achtend, weil er von dort aus sehen und hören konnte, ohne selber gesehen oder gehört zu werden.
Wäre es nicht ein Verstoß gegen die Ehrfurcht, die die Menschen dem Allmächtigen schulden, Abbilder von lebenden Wesen zu schaffen - denn er allein ist der Schöpfer, der Erschaffer, der Bildner - so hätte Welid versucht sein können, den Anblick festzuhalten, der sich ihm bot.
Zwischen den beiden Köpfen, dem des Jungen und dem des Alten, brannte die Lampe und bestrahlte die Gesichter mit ihrem warmen, goldfarbenen Licht. Das des Lehrers war nicht eben schön: zu tief lagen die Augen unter den zusammengewachsenen Brauen, zu groß und volllippig war der Mund, zu kantig hob sich die Stirn von den Schläfen ab. Aber Stirn und Augen und Mund wurden zusammengefasst von dem einen Ausdruck, der auf ihnen allen lag:
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