Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
Unterkommen als Abschreiber in Hakams Dienst. »Mich bedrückt nur das eine, dass dein Vater mich für einen Undankbaren halten wird - sag, wie hat er mein Weggehen aufgenommen?«
»Mein Vater hat von deinem Fortgang nichts erfahren. Er ist von seiner Pilgerreise nicht heimgekehrt.«
»Tot?« Jachja sah Abu Amir lange an. »Allah öffne ihm die Pforten des Paradieses. Er war ein guter Mensch. Zwar bis zur Tiefe der letzten Erkenntnis nicht vorgedrungen, aber ...« Er hielt inne. »Verzeih, ich hätte das nicht sagen sollen.«
»Und du«, Abu Amir lenkte das Gespräch ab, »hast dich nun hier hinter deinen Tintenfässern verschanzt und steigst in diese Tiefen, um für dich allein von der letzten Weisheit zu kosten? Oder hast du Schüler, die du in deine Lehren einweihst?«
»Nein, Herr. Ich spreche zu niemandem mehr darüber. Die meisten Menschen haben die Denkkraft nicht, um die Welt, in der sie leben, so zu erfassen, wie sie in Wirklichkeit ist. Unser Prophet hat sehr weise daran getan, ihnen statt des vollen Lichtes die Sinnbilder dieses Lichtes zu geben und ihnen den Urgrund des Seins durch Gleichnisse zu erklären.
Die Philosophen aber, die dieses Schleiers nicht mehr bedürfen, werden von ihnen für Ketzer gehalten, obwohl doch die Philosophie niemals im Gegensatz zur Religion steht und ihre Lehren nicht im Gegensatz zum inneren Sinn des Korans.
Denn nicht auf Nachahmung kommt es an, sondern auf unmittelbares Erkennen. Auch die Liebe zu Aristoteles und al-Farabi darf nicht größer sein als die Liebe zur Wahrheit, und du musst den Strom des Seins, der aus dem ewigen Urquell strömt, in deinem Innersten erfahren, um ihre Erkenntnisse zu den deinen machen zu können. Aber wie soll das ein Fakih verstehen?
Darum leben wir im Zustand der Vorsicht, und die Verhüllung ist unser Heiliger Krieg.«
»Einen solchen Krieg also hast du geführt - zwanzig Jahre lang -, der niemandem nützte als dir allein?«
»Nicht mir allein!« Des Alten Augen leuchteten. »Komm, ich will dir zeigen, was für Schätze ich aufstapelte, die der Nachwelt dienen sollen. Denn einmal wird sie kommen, die Zeit, da die Augen aller Menschen das volle Licht ertragen können, und dann werden die Stimmen laut, die jetzt nur im Verborgenen lispeln, und der wahre Imam verkündet das wahre Menschsein, in dem sich alles erfüllt: Friede, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Erkenntnis. Alles ist Eines. Nichts steht gegeneinander.« Und er zog den Wesir hinter sich her, bis zu einem verschlossenen Schrank, den er vor ihm öffnete.
»Hier sind sie alle beisammen: Aristoteles, al-Kindi, al-Farabi. Alle abgeschrieben von meiner Hand. Und hier die sufischen Schriften, die mein Meister benutzte. Und hier«, er stockte einen Augenblick, und seine Stimme wurde so leise, als schäme er sich dessen, was er zu sagen hatte, »mein eigener Diwan.«
Der Zauber, den Jachja ben Jezid schon auf den Knaben ausgeübt hatte, ergriff jetzt auch den Mann. Doch gleich darauf fiel er von ihm ab durch einen Gedanken, der ihn mit dämonischer Gewalt ergriff: Jachja ist der rechte Lehrer für Hischam! Kindische Träume verblassen. Märchen werden belächelt und abgetan. Aber Träume dieser Art, die einen Mann bis ins Alter begleiten, mögen die Seele auf die Ewigkeit vorbereiten, nicht aber die Tatkraft stählen zu irdischen Geschäften. Allah sei Dank, dass er mich rechtzeitig dem Einfluss dieses Schwärmers entzogen hat.
An einem der nächsten Tage stellte Abu Amir den alten Gelehrten bei Hofe vor. Schon sein Äußeres bestach die Fürstin: sein ausdrucksvoller Greisenkopf, sein langer, nun schlohweiß gewordener Bart, seine gemessenen Bewegungen, die Gesten, mit denen er seine Beden begleitete. Noch anziehender war seine Sprache - ein so reines Arabisch hörte man selten in Andalus, der Baskin selber war es nie gelungen, ihren harten heimischen Akzent ganz abzustreifen, und nichts war ihr erwünschter, als dass ihr Sohn eine tadellose Aussprache in die Ohren und damit auf die Zunge bekam. Wusste sie doch, was das in den höchsten Kreisen des Adels galt.
Seine Weitsicht gab Jachja ben Jezid nicht preis, und das war dem Wesir nur allzu recht. Nur ganz allmählich, Stufe für Stufe, konnte Hischam den steilen Berg erklimmen, von dessen Höhe sich ihm das Reich des Geistes auftun würde - seiner Mutter würde es sowieso verschlossen bleiben.
Subeiha war völlig eingenommen von dem Gedanken, ihren Sohn diesem Lehrer anzuvertrauen, und Moßchafi wurde nicht gefragt. Den
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