Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
Schar von Studenten auf, die ein Glas über den Durst getrunken hatten und in das Haus eines reichen Kaufmanns eingedrungen waren, dessen Sklavinnen berühmt waren wegen ihrer Schönheit. Die Burschen behaupteten, eines der Mädchen habe ihnen ein Pförtchen geöffnet, die Mädchen hingegen sagten, die Studenten seien über die Mauer gestiegen.
Hätten sie ihre Liebeshändel mit den Mädchen in der Stille abgemacht, wäre ihnen wahrscheinlich nichts geschehen. Aber der Wein war ihnen auch in den Kopf gestiegen, einer fing an zu singen, der Kaufmann erwachte, weckte seine Diener, und es gab ein Handgemenge, dessen Lärm die Wache aufhorchen ließ, die herbeieilte und die Studenten festnahm. Und unter ihnen Amir, den ältesten Sohn des Wesirs.
Merwe war außer sich, als sie davon erfuhr. Sie suchte Abu Amir in allen Räumen, und als sie ihn endlich gefunden hatte, warf sie sich vor ihm auf den Boden.
»Steh auf, Merwe!« sagte Abu Amir rau. »Bitte nicht um Schonung für deinen Sohn. Es ist zu spät. Das Urteil ist schon vollstreckt.«
»Das Urteil? Du hast ihn ...«?
»Auspeitschen lassen, wie er es verdiente.«
»Aber er ist doch fast noch ein Kind. Alle ändern sind älter als er. Verführt haben sie ihn, mit sich fortgerissen, er hat nur zugesehn, als sie sich mit den Mädchen abgaben, selber keine angerührt ...«
»So behauptet er. Doch wer glaubt ihm das? Und selbst wenn es wahr wäre, was nützt es? Hätte ich ihn straflos ausgehen lassen, eine Meute wäre über mich hergefallen. Moßchafi und sein ganzer Anhang hätten gehöhnt: Da, seht den Wahrer der Gerechtigkeit, wie gut er sie zu umgehen versteht, wenn sein eigen Fleisch und Blut im Spiele ist! Und im Nu wäre die Stimmung in der Stadt gegen mich umgeschlagen, die alten Spottlieder, um neue vermehrt, würden gesungen werden, und wer weiß, ob nicht sogar Ghalib sein Versprechen rückgängig machen und seine Tochter doch diesem Othman geben würde. Was aber wäre die Folge? Verbrechen und Unzucht würden ihr Haupt erheben wie nie zuvor. Und die Feinde unseres Glaubens würden über uns triumphieren! Meinst du, Allah schützt seine Gläubigen, wenn sie sich stündlich gegen seine Gebote versündigen?«
Sie antwortete nicht, erhob sich nur vom Boden und blickte ihn stumm an. Aber er las ihr die Gedanken von der Stirne ab: Um wie viel schwerer hat Mondhir sich vergangen, und du hast ihn geschont. Damals nützte dir das, denn die Schande half ich dir verbergen. Es geht dir ja gar nicht um Recht und Gerechtigkeit, sondern nur um dich selbst, deinen Aufstieg, deine Macht. Für sie ist dir keine Gerechtigkeit zu teuer und keine Ungerechtigkeit.
Wie, dachte ihm Merwe das wirklich ins Gesicht? Oder war es seine eigene Seele, die ihn derart verklagte?
Wenn mein Sohn sich von den Schlägen erholt hat, will ich zu ihm gehn und mit ihm reden wie ein Vater, der Versöhnung sucht. Sieh, Amir, werde ich sagen, dies ist die Lage, in die mich dein Leichtsinn gebracht hat; und mein Aufstieg ist doch auch der deine, meine Zukunft die deine. Dir und deinen Kindern will ich eine Stellung hinterlassen, wie sie kein anderes Geschlecht im Reiche hat. Von den Amiriden soll man sprechen, wenn die Omaijaden längst vergessen sind. Fall mir nicht mehr in den Rücken, sei mein Freund, wie ich dein Freund sein will, und begraben sei, was geschehn ist!
Er würde verstehn. Merwes Sohn würde seinen Vater verstehn.
Die Tür ging auf und Welid erschien. Sein Gesicht war grau. Noch ehe er den Mund öffnete, wusste Abu Amir, was für eine Nachricht er brachte.
»Amir ist tot.«
Abu Amir trat einen Schritt von Merwe zurück. Gleich würde sie anfangen zu schreien, wie jede Mutter um ihren toten Sohn schreit!
O wie gut haben es die Frauen! Sie dürfen sich ihrem Schmerz hingeben, dürfen Tür und Tor öffnen der Klage und Verzweiflung, dürfen sich an die Brüste schlagen, die Haare raufen, das Antlitz schwärzen und weinen, weinen, bis sie keine Tränen mehr haben, ihre Seele zu Tode ermattet ist und die große Trösterin, die Erschöpfung, ihnen die Hand auf die Stirn legt und sie aufs Ruhebett niederdrückt. Wir aber stehen mit zusammengebissenen Zähnen da und warten auf ihr Schreien.
Merwe schrie nicht. Sie stand vor Abu Amir, reglos wie Lots Weib, als es zu einer Salzsäule erstarrt war. Unerträglich diese Stummheit!
»Geh«, sagte Abu Amir zu Welid, »bleib vor der Tür des Vorzimmers stehn und sorge dafür, dass wir ungestört bleiben.«
Jetzt erst nahm Welid wahr,
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