Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
war wie eine Engelserscheinung? Konnte dieser verfettete Leib überhaupt noch auf ein Pferd gehoben werden? Und die Hand, die ein leichtes Zittern befiel, als sie sich ihm entgegenstreckte, noch einen Zügel halten? Abu Amir bückte sich über sie, berührte sie aber kaum mit den Lippen und dachte dabei: Wie gut, dass sie so kraftlos ist! Und sah im Geiste die Knabenhand Hischams, gleichfalls von keiner Anstrengung gehärtet, neben der seines Oheims.
»Bücher möchtest du entleihen, Wesir? Mein Diener wird sogleich hinübergehn und dir die Kataloge holen. Du findest sicherlich alles darin, was du suchst, und ich lasse es dir dann bringen. Nimm einstweilen auf diesem Kissen Platz.«
»Habe Dank für dein Entgegenkommen, Vater der Wissenschaft. Aber wenn du gestattest, möchte ich lieber selbst hinübergehn und den Schatz, den unser verewigter Kalif (Allah öffne ihm die Pforten des Paradieses!) zusammengetragen hat, mit eigenen Augen sehen.«
»Ganz wie du wünschst, Wesir. Dann wird mein Diener dich zu Jachja führen. Er kennt sich von allen Abschreibern am besten aus im Hause der Weisheit.«
Das Gebäude, in dem die Bücher untergebracht waren, lag ganz in der Nähe von Mondhirs Palast und war fast so groß wie dieser. Sie traten aus einem Vorraum in die riesige, lange, von einem Tonnengewölbe überdeckte Halle, an deren beiden Seiten Nischen angebracht waren. Hier lagen die kostbaren Bücherschätze in Stapeln übereinandergeschichtet, und der Geruch von Pergament und feinem cordobanischem Leder, in das sie gebunden waren, schlug ihnen entgegen. Seltsam, hier tagaus und tagein zu atmen, dachte Abu Amir. Vielleicht verleiht diese Luft dem Geist eine größere Dichte, sodass er die ihn umschwirrenden Gedanken besser einfangen und prägen kann.
Am Ende der Halle stieß der Diener eine Türe auf, und ein kleiner Raum wurde sichtbar, in dem ein alter Mann hinter einem niederen Tisch saß und schrieb, ohne den Blick zu heben, als die Männer eintraten.
»Du bekommst Besuch, Jachja ben Jezid. Abu Amir, der Wesir, will mit dir sprechen!«
Abu Amir stutzte, fasste den Alten schärfer ins Auge und erkannte ihn. »Hier versteckst du dich, Jachja ben Jezid? Seit zwanzig Jahren suche ich dich!«
Im Gesicht des Alten zeichnete sich ein jähes Entsetzen ab. Die Schreibfeder sank aus der Hand, er stürzte sich vor Abu Amir auf die Knie und stammelte: »Ich bin unschuldig, Herr! Unschuldig! Habe deinen Sohn nicht getötet!«
»Steh auf, Jachja ben Jezid! Für wen hältst du mich denn? Ich bin Muhammad ben Abdallah aus Thorosch, dessen Lehrer du warst.«
Mit Mühe brachte Abu Amir den ganz aus der Fassung geratenen alten Mann wieder zu sich. Und erfuhr dessen Geschichte.
Nach dem Tode al-Farabis, seines Lehrers, war Jachja ben Jezid auf Reisen gegangen, bis er sich endlich in Kairawan niederließ. Ein großer Kreis von Schülern versammelte sich um ihn, und er machte sie mit den Lehren seines Meisters vertraut, die er nach bester Einsicht erläuterte und ergänzte. Auch als Arzt war er geschätzt und wurde in die vornehmsten Häuser gerufen. Zwar feindeten ihn viele Fakihs an, behauptend, wer sich auf die Lehren der heidnischen Philosophen stützte, wie al-Kindi, al-Farabi und ihre Anhänger, sei ein Ketzer und nicht besser als jeder Ungläubige. Doch der Fatimide, der in Kairawan herrschte, war zu gebildet und zu verständig, um ihnen ein Ohr zu leihen.
Eines Tages benötigte der Wesir des Kalifen - auch er hieß Abu Amir - einen Arzt für seinen kranken Sohn. Jachja ben Jezid wurde gerufen, bereitete eine Medizin, flößte sie dem Knaben ein, worauf dieser sich in Krämpfen wand und nach wenigen Stunden starb. Die Medizin wurde daraufhin untersucht, sie enthielt ein starkes Gift. Jachja konnte sich das nicht anders erklären, als dass sein Diener, von seinen Feinden bestochen, das Gift der Medizin heimlich beigemischt haben musste. Der Kadi allerdings, der ihm gleichfalls nicht gewogen war, schenkte diesen Beteuerungen keinen Glauben und verurteilte ihn zum Tode.
In der Nacht vor seiner Hinrichtung gelang es seinen Schülern, die von seiner Unschuld überzeugt waren, ihm zur Flucht zu verhelfen. Das Schiff, auf das er sich hatte retten können, fuhr nach Andalus. Aber noch ehe es die Bucht von Algeciras erreicht hatte, geriet es in einen Sturm, ging unter, und er erreichte die Küste als ein Bettler. Und da er in Thorosch, wo man ihm so viele Wohltaten erwiesen hatte, nicht bleiben konnte, fand er in Cordoba ein
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