Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
denn ein Mensch seinem Tode? Und wollte ich ihm entrinnen? Oder wollte ich den Freund, den Milchbruder, davor bewahren, sich mit meinem Blut zu beflecken? Romeileh davor bewahren, als Witwe um mich zu klagen? Den kleinen Hani davor, als Sohn eines Hingerichteten zu gelten?
Marjam, Schwester, dich kann ich vor niemandem bewahren. Du bist in die Hände dessen gefallen, der mit dir tun kann, was ihm beliebt. O nein, alles nicht. Du bist seine Milchschwester, wie du die seines Bruders warst, er darf dich nicht in die Arme schließen, nur einem anderen ausliefern. Und wer wird das sein? Ängste dich nicht: Was immer dir zustoßen sollte, der Trost des Todes findet dich am Ende deines Lebens, wie dich am Abend jeden Tages der Trost des Schlafes findet.
Siehst du, meine Lippen sind schon zugewachsen, siehst du, die Höllen- flammen vor meinen Augen sind schon erloschen, hörst du, mein Atem ist leise wie ein Hauch, hast du gewusst, wie schön es ist, im Sande zu liegen, wenn die Sonne schweigt und der Wind schweigt, die Menschen schweigen, die Tiere schweigen und das Herz schweigt? Verzeih mir, Marjam! Das Herz hat mich immer verklagt, weil ich dir ein schlechter Bruder gewesen bin und dich nicht verheiratet habe, aber jetzt schweigt es.
Wie lange Welids Herz geschwiegen, wie lange er seinem Tode entgegengeschlafen hatte, wusste er nachher selbst nicht mehr. Er erwachte davon, dass jemand einen nassen Schwamm über seinem Gesicht ausdrückte und er glaubte, die Wasser des Gartens Eden ergössen sich über ihn. Doch weder ein Engel noch eine Paradiesjungfrau beugte sich über ihn, sondern ein zahnloses, dicknasiges Männergesicht, und eine Stimme sagte auf berberisch:
»Dieser lebt noch.«
Er wollte antworten, aber die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Man flößte ihm Wasser ein, er vermochte es kaum in kleinsten Schlucken hinunterzuwürgen. Mein hob ihn auf den Rücken eines Kameles, der Alte setzte sich hinter ihn und hielt ihn fest.
So ritten sie einige Tage lang, ein kleiner Trupp von etwa zwanzig Männern mit Reit- und Tragtieren. Zuerst nach Norden, bis sie einen Pass erreichten, der ihnen den Eintritt ins Bergland gestattete, dann ostwärts auf halsbrecherischen Pfaden, die sie mitten ins Gebirge hineinführten. Hier wuchsen Zedern, Ahornbäume und Eichen, deren Schatten die Hitze des Tages milderten, und auf den Bergwiesen fanden die Tiere gute Weide. Dann machten die Männer Halt, lagerten, schwatzten, lachten. Sie unterhielten sich in einem Dialekt, den Welid schwer verstand, sodass er meist stumm neben ihnen saß, auch als die Schwellung seiner Kehle zurückgegangen war und er wieder sprechen konnte. Nur eines hatte er doch erfragt und ihre Antwort begriffen: Von all den Männern, die sich mit seiner Karawane in der Wüste verirrt hatten, lebte außer ihm keiner mehr. Was aus den Waren geworden war, danach fragte er nicht. Er sah, dass die Tiere mit schweren Lasten beladen worden waren. Sicherlich hatte man ihnen von dem herrenlos gewordenen Gut aufgepackt, soviel sie tragen konnten.
Wenn die Wege steil wurden, nahmen die Männer ihre Tiere am Zügel. Auch Welid musste, sobald er sich einigermaßen gekräftigt hatte, vom Pferde steigen.
So kamen sie nur langsam voran. Die Nächte waren kühl, man hüllte sich in grobe Decken, die Tage waren sonnig, man verschlief die Mittagsstunde im Schatten der Bäume. Vor Hunger und Durst brauchte man sich nicht zu fürchten: Vorräte führten sie genügend mit sich und reines Quellwasser sprang aus den Bergwänden.
Wohin der Weg sie führte, wann sie am Ziel sein würden, danach fragte Welid nicht. Es war ihm gleichgültig. Wenn sie über unbewaldete Höhen zogen, von denen aus man die Blicke schweifen lassen konnte, sah er über enge Täler und schroffe Felsen hinüber zu schneebedeckten Graten hoher Gebirge. Manchmal standen Zelte in den Tälern, Hütten auf den Anhöhen - dann beeilten sich seine Begleiter, im Walde zu verschwinden.
Sie waren aus der Wüste aufgebrochen, als der Mond in seinem ersten Viertel stand. Sie erreichten ihr Ziel am Abend des Neumondes. Den ganzen Tag ließen sie ihre Tiere auf den Almwiesen weiden, erst als sich die Sonne den westlichen Bergkuppen näherte, begannen sie den Abstieg in ein enges Tal, das sie bei einbrechender Dämmerung erreichten.
Im Tal standen Dutzende von Zelten. Aus ihnen sprangen zuerst die kläffenden, vor Freude jappenden Hunde heraus, dann die Kinder und einige halbwüchsige Burschen, und schließlich kamen die
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