Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
Erwachsenen herbei. Die Frauen waren unverschleiert, wurden aber von dem Alten, der Welid auf sein Kamel genommen hatte, zurückgescheucht. »Ein Fremder, ein Fremder!« verstand Welid und sah sich im Kreise um, bis er begriff: Der Fremde war er selber.
Die Männer des Stammes versammelten sich um ein großes Lagerfeuer, das auf dem Platz, den die Zelte von allen Seiten umgaben, angezündet wurde. Die Burschen stürzten sich auf die Lasttiere, befreiten sie von allen Bündeln, Körben und Schläuchen, die Bündel wurden aufgeschnürt, die Körbe geleert, alles kunterbunt auf den Boden geschüttet, und dann ging das Verteilen los, wobei sich die Stimmen überschrien, die Fäuste ballten, sodass Welid das Schlimmste befürchtete. Der Zahnlose verschaffte sich Ruhe, sein Blick hatte etwas Bändigendes, niemand wagte, gegen seine Entscheidung aufzubegehren. Und sie konnten ja auch alle zufrieden sein: Keine Familie, die nicht ein Zinn oder Kupfergeschirr, viele Ellen Wolltuch, bunte Decken, Säbel und Dolche, Schmuckstücke aus Metall und Elfenbein bekommen hätte.
Als alles verteilt war, fasste der Alte nach Welids Hand. »Komm!«
Nun bin ich sein Sklave, dachte Welid, und er wunderte sich selbst, wie kalt ihn dieser Gedanke ließ.
Sie hatten nur einige Schritte zu gehen. Das Zelt des Alten war das größte und stand in der vordersten Reihe, ganz nahe dem Versammlungsplatz. Es bestand aus zwei Räumen, die Frauen verzogen sich sofort in den kleineren und ließen die eintretenden Männer allein.
Der Alte setzte sich auf eine Matte und forderte Welid auf, ein Gleiches zu tun. Er schwieg lange, und seine Miene blieb so verschlossen, dass Welid weder Gutes noch Böses aus ihr zu deuten vermochte, und ihm ganz unheimlich zumute wurde.
Plötzlich aber schoss aus des Alten Mund die Frage:
»Wer ist der rechte Imam?«
Welid zuckte zusammen, und es verschlug ihm den Atem.
Was will er von mir hören? Ist er ein Schiite, müsste ich antworten, die Fatimiden, die Nachkommen Alis von der Tochter des Propheten, deren einer nun in Kairo regiert. Ist er ein Sunnite, wüsste ich nicht, was ich sagen sollte, denn Abbasiden und Omaijaden machen sich die Würde streitig, und wem dieser Alte hier zuneigt, dem Kalifen von Bagdad oder dem von Cordoba, kann ich nicht einmal ahnen.
Welid schloss die Augen, um dem bohrenden Blick des Alten zu entgehen. Mit einem Mal stieg das Bild Jachjas vor ihm auf, und er hörte ganz deutlich die Stimme seines alten Lehrers: »Der rechte Imam ist derjenige, der den Willen des Propheten am besten erfüllt, die Wahrheit liebt über alles, der Gerechtigkeit zum Siege verhilft und erhaben ist über jedwede Niedertracht.«
Und er sprach ihm die Worte nach.
Die Augen des Alten blitzten.
»Wenn ein Kalif aus dem Stamme Koreisch ein Sünder ist - darf er abgesetzt werden?«
»Er muss abgesetzt werden.«
»Und wer soll an seine Stelle treten?«
»Der Frömmste.«
»Selbst wenn dieser kein Koreischite wäre?«
»Selbst wenn er der Sohn eines Berbersklaven wäre.«
Da sprang der Alte auf und schloss Welid in die Arme. »Du bist unser Bruder. Du gehörst zu uns. Wir sind Charidschiten, gehorchen keinem dieser sündigen Kalifen, nicht dem von Kairo, nicht dem von Bagdad, nicht dem von Cordoba. Als freie Männer, als die wahren Gläubigen warten wir auf den rechten Imam. Nicht als Sklave sollst du bei uns aufgenommen sein, sondern als mein Gast. Du kannst bleiben, solange du willst, und fortgehn, wann du willst. Nur - du kämest nicht weit. Denn wenn du dich von uns entfernst, können wir dich nicht mehr schützen.«
Er klatschte in die Hände, und eine Frau, kaum jünger als er, brachte in einer irdenen Schüssel eine dampfende Speise herein, die sie vor den Männern auf den Boden stellte: Ein Gericht aus Mehl und Wasser, mit Olivenöl übergossen. Und Welid musste als Erster zulangen.
Also nicht Sklave, sondern Gast, dachte er. Das wird aber, wie es scheint, kaum ein großer Unterschied sein.
Der Stamm, in den Welid aufgenommen worden war, führte ein unstetes Leben. Im Sommer, wenn im Tal alles Gras verdorrt war, wurden die Herden auf die Almwiesen getrieben. Dann lebten die Menschen in Zelten und schweiften weit umher. Im Winter, wenn die Regengüsse die Bäche aus ihren Ufern treten ließen, zogen sie sich in ihre Hütten zurück, die auf der abgeholzten Kuppe einer ins Tal vorspringenden Bergnase standen. Jede Familie hatte ihren eigenen Hof, einen mit rohen Steinen ummauerten Platz, in dem die
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