Zu Staub Und Asche
ich habe nichts von den kriminalistischen Fähigkeiten meines Vaters geerbt.«
Es lag Hannah auf der Zunge zu sagen: Im Gegensatz zu Daniel, aber sie wollte seinen Namen auf keinen Fall als Erste aussprechen.
»Ich für mein Teil habe meine kriminalistischen Fähigkeiten samt und sonders bei Ihrem Vater gelernt.«
»Er wäre sicher stolz auf Ihren Erfolg gewesen. Sie leiten doch das Cold-Case-Team, nicht wahr? Ein toller Job!«
»Eher ein Abstellgleis«, antwortete Hannah. »Ich wurde kaltgestellt, nachdem ich einen Fall vermasselt hatte, und bis heute ist es mir nicht gelungen, da wieder herauszukommen.«
»Aber Sie sind trotzdem gern bei der Kriminalpolizei.« Es war eine Feststellung, keine Frage. »Jedenfalls ist Daniel ganz sicher, dass es so ist.«
Hannah ballte die Faust, als hätte sie einen Sieg errungen. Louise hatte ihn als Erste erwähnt.
»Er hat recht. Ich war immer ehrgeizig. Ihr Vater bezeichnete mich als getrieben.«
»Genau wie Daniel«, nickte Louise. »Oder zumindest so, wie Daniel früher einmal war.«
»Hat er sich verändert?«
»Sie wissen, dass seine Lebensgefährtin Aimée gestorben ist?«
Hannah nickte. Aimée war die Vorgängerin der Journalistin Miranda gewesen. Sie hatte mit Daniel in Oxford gelebt, wo der junge Historiker damals eine viel versprechende und lukrative Karriere als Autor von Geschichtsbüchern verfolgte, die er gleichzeitig für das Fernsehen adaptierte. Dem Vernehmen nach war Aimée ein wenig exzentrisch gewesen und hatte schließlich den Freitod gewählt. Nach diesem schrecklichen Erlebnis wollte Daniel ein völlig neues Leben beginnen, traf Miranda und verließ Oxford, um sich im Lake District niederzulassen. Das Cottage in Brackdale wurde zu seinem Refugium, bis Miranda wieder nach London zurückkehrte und ihn mit einer neuen Wunde zurückließ.
»Das muss wirklich hart für ihn gewesen sein.«
»Aimées Tod hat seine Perspektive auf seine berufliche Zukunft verändert. Aber irgendwann muss die Trauer auch mal ein Ende haben. Ich möchte wieder den früheren Hunger bei ihm sehen.«
»Menschen verändern sich eigentlich nie.« Während sie den Satz aussprach, spürte Hannah, dass sie tatsächlich tief und fest daran glaubte. »Jedenfalls nicht grundlegend.«
»Wenn das stimmt, müssten die Cold Cases Ihre Begeisterung so richtig anfeuern.«
»Zumindest geben sie mir die Chance, wieder als Kriminalistin zu arbeiten. Schon Ihr Vater hatte mich gewarnt, dass jede Erhöhung des Dienstgrades zwangsläufig eine Entfernung von der wirklichen Polizeiarbeit nach sich ziehen würde. Die obersten Sprossen der Karriereleiter sind nur etwas für politische Macher, nicht für Leute, die einfach nur Verbrechen aufklären wollen.«
»Ich kann mich gut daran erinnern, wie Dad das sagte«, murmelte Louise. »Das war, bevor er uns wegen dieses Luders verlassen hat.«
»Es muss schrecklich für Sie gewesen sein, als Ben auszog.«
»Ja, und zwar für uns alle: für Daniel, für mich und für unsere Mutter.« Louise seufzte. »Aber das ist längst Geschichte. So weit weg wie das Zeug, das Daniel studiert.«
Hannah konnte der Versuchung nicht länger widerstehen.
»Was macht er denn inzwischen so?«
»Sind Sie denn nicht in Verbindung geblieben?«
Hannah schüttelte den Kopf. »Er ist doch nach Amerika gegangen.«
»Na, wozu gibt es denn E-Mails?« Louise schürzte die Lippen wie eine Lehrerin, die von der dummen Antwort eines ansonsten eifrigen Schülers enttäuscht ist. »Eigentlich wollte er gar nicht so lang wegbleiben, aber irgendwie führte eins zum anderen, und er wurde auf eine Lesereise eingeladen. Aber seit gestern ist er wieder in England.«
»Er ist zurück im Lake District?«
»Sicher. Er ist jetzt in Tarn Cottage. Sie dürfen nicht vergessen, dass er Brackdale als seine Heimat betrachtet.«
»Ich habe gehört, dass Miranda ihn zu einem Umzug nach London bewegen wollte«, tastete Hannah sich vorsichtig weiter.
»Miranda?« Louise gab sich keine Mühe, ihre Verachtung zu verbergen. »Mit der ist es aus und vorbei. Wussten Sie das nicht? Und wenn Sie mich fragen, war es abzusehen, dass die Sache nicht gut gehen würde. Sie waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Miranda war einfach nicht die Richtige für Daniel.«
Louise schien bereits den einen oder anderen Drink intus zu haben. Als Hannah sie kennenlernte, hatte sie sich ziemlich zugeknöpft gegeben und nie etwas von sich aus preisgegeben. Ihre Freimütigkeit war ebenso überraschend wie der
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