Zu Staub Und Asche

Autos mitgenommen und sich damit an Händen und Füßen gefesselt? Hatte sie ihre Panik überwunden und sich ins Wasser fallen lassen? Hatte sie einige Minuten lang um sich geschlagen, oder war sie still liegen geblieben und hatte sich damit begnügt, auf das Ende zu warten?
    Hannah stellte sich das eiskalte Wasser vor, das über Bethanys Gesicht spülte, Nase und Mund füllte und schließlich in die Lunge eindrang und sie erstickte.
    Nein, nein, nein!
    Irgendetwas an diesem Bild stimmte nicht. Wieso ausgerechnet der Schlangenweiher? Im Lake District gab es weiß Gott genügend Orte, wo man sich ertränken konnte. Ben Kind war davon ausgegangen, dass der Schlangenweiher wegen der abgelegenen Umgebung ausgewählt worden war. Er hatte nie daran geglaubt, dass die junge Frau aus eigenem Antrieb in den Tod gegangen war, seine Unfähigkeit jedoch, einen Mord nachzuweisen, ganz zu schweigen davon, einen Schuldigen zu finden, ließ ihm bis zu seinem letzten Atemzug keine Ruhe. Er verfügte über einen ausgeprägten kriminalistischen Scharfsinn, ein Gespür wie ein erfahrener Wanderer, der trotz Nebels instinktiv seinen Rückweg findet.
    Hannah öffnete die Augen wieder. Bethany Friend war keine Frau, die aufgab. Sie hatte immer weitergeschrieben, obwohl sie jahrelang nichts als Absagen bekam. Selbstmord ergab einfach keinen Sinn.
    Ben hatte recht gehabt. Irgendjemand hatte Bethany umgebracht.
    »Und? Haben Sie sich den Neuen schon einmal vorgeknöpft?«, fragte Les Bryant.
    Hannah stand neben ihm in der Schlange in der Cafeteria. Er bestellte das ganztägig servierte Frühstück, musste jedoch von der Bedienung erfahren, dass es nicht mehr auf der Karte stand. (»Anordnung von ganz oben, Les. Seit Neuestem haben wir doch diese Kampagne für gesündere Ernährung.«) Sie zeigte auf ein glänzendes Wandposter, das als Polizisten verkleidete, ebenso schöne wie ethnisch unterschiedliche Models zeigte, neben denen der Satz zu lesen war: ESSEN SIE SICH FIT. Darunter wurden die Vorteile von Pastinaken und Granatäpfeln angepriesen. Die Botschaft würde bei Les wahrscheinlich einen Herzinfarkt verursachen, zumindest ließen seine hochroten Wangen darauf schließen. Leise fluchend behalf er sich mit zwei Portionen Müsli und einem Kaffee, den er sich mit zwei gehäuften Löffeln Zucker versüßte.
    »Ich glaube, er ist nicht gerade glücklich mit uns. Aber ich auch nicht mit ihm.«
    Hannah erstand eine Schüssel Müsli, eine Scheibe Melone und einen Bio-Cranberry-Saft. Nicht, dass sie besonders scharf auf Obst gewesen wäre - sie wollte Les bloß provozieren. »Diese blöde Kuh Lauren hat ihn ins Cold-Case-Team geschickt, als wäre es die Ecke, in die man böse Buben stellt.«
    Einen Tisch zu finden war nicht schwierig. Ein Virus grassierte in der Gegend, und viele Mitarbeiter hatten sich krankgemeldet. Les schlürfte einen Schluck Kaffee und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.
    »Ich sehe keine Schwierigkeiten, solange Sie ihm vor Augen halten, wer hier der Boss ist. Sollten Sie das nicht tun, wird er schon bald über Sie hinwegtrampeln.«
    »Herzlichen Dank für die tröstenden Worte.«
    »Hören Sie, als ich noch in Amt und Würden war, hatte ich die Nase gestrichen voll vom Management. Ich weiß, dass es ein Haufen Scheiße ist. Aber Sie tragen nun einmal die Verantwortung - also richten Sie sich danach!«
    Les war pensionierter Kriminalbeamter und hatte im heimatlichen Yorkshire unzählige wichtige Ermittlungen geleitet. Man hatte ihn aus dem Ruhestand zurückgeholt, damit er dem neu geschaffenen Cold-Case-Team mit Rat und Tat zur Seite stand. Nachdem seine Frau ihn verlassen hatte, verspürte er keinerlei Drang, wieder nach Hause zurückzukehren. Vor sechs Monaten hatte er einen Bungalow in Staveley gekauft, und obwohl er für seine dreißigjährige Dienstzugehörigkeit eine ordentliche Pension bezog und ihm Geld daher egal sein konnte, hatte er einen erweiterten Vertrag unterzeichnet. Nachdem Nick Lowther nach Amerika gegangen und Bob Swindell nach Lancashire umgezogen war und Gul Khan sich entschlossen hatte, im Geschäft seiner Eltern mitzuarbeiten, gab die Anwesenheit von Les im Team Hannah das dringend benötigte Gefühl einer gewissen Kontinuität. Cold Cases ließen sich nun einmal nicht über Nacht lösen, und die Fluktuation bei den Mitarbeitern gepaart mit Budgetkürzungen machten die Sache nicht leichter.
    »Achtung, ranghohe Polizistin in Sicht«, murmelte Les.
    Hannah blickte sich um und entdeckte