Zu Staub Und Asche
Leder bezogene Sessel. Hier also hatte Louises vermeintliches Verbrechen stattgefunden. Was aber war mit ihrer Waffe geschehen? Es lag keine Schere herum, als Daniel aber in den Schubladen nachsah, fand er eine saubere Küchenschere beim Besteck. Er bückte sich und untersuchte den Schieferboden. Nirgends eine Spur von Blut! Hatte Wagg als ordentlicher Mensch die Schere etwa gespült und weggeräumt? Daniel schnüffelte in die Luft. Der sterile Geruch von Leere. Obwohl draußen tiefster Winter herrschte, war das Haus nicht kalt. Vorsichtig berührte er einen der Wandheizkörper, der sich angenehm warm anfühlte. Die Gasleitung war also noch intakt.
Auf der anderen Seite des Flurs befand sich die Bibliothek. Bei Daniels letztem Besuch hatte Wagg ihn hierhergebracht. Es gab nur ein winziges Fenster mit heruntergelassenen Rollläden, um dem Risiko vorzubeugen, dass Tageslicht die Bücherrücken ausbleichte. Regale erstreckten sich vom Boden bis zu den Zimmerdecken. Aber wie das restliche Crag Gill war auch die Bibliothek so leblos wie ein Grab.
Daniel ging nach oben und setzte seine Suche in Waggs Schlafzimmer fort. Schwarze Seidenbettwäsche. Ein Spiegel über dem großen Bett. Das Mobiliar musste ein Vermögen gekostet haben; trotzdem wirkte das Zimmer wie die Kulisse für einen billigen Porno. Daniel beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken.
Bald hatte er jeden Winkel des Hauses inspiziert. Von Wagg fand sich nicht die geringste Spur und auch kein Anzeichen, wo er hingegangen sein könnte. Daniel verbrachte einige Minuten damit, im Garten weiterzusuchen, doch es war bereits zu dunkel für eine gründliche Untersuchung. Zumindest lag Wagg mit Sicherheit nicht auf dem Rasen, der sich bis zum Ufer hinunter erstreckte; im Gegensatz zum Haus waren die Garagen und die Anbauten allerdings verschlossen.
Daniel erinnerte sich, wie Louise auf dem Rückweg vom Flughafen über ihren Lover gesprochen hatte.
»Wenn Stuart in der richtigen Laune ist, kann er richtig witzig sein. Allerdings langweilt er sich womöglich noch schneller als du. Der ganze Mann besteht aus Gegensätzen. Er ist ein Partylöwe, der sich auf einsamen Bergwanderungen am wohlsten fühlt. Deshalb ist er auch nie aus dem Lake District weggezogen. Hier genießt er den Luxus, einfach ohne lange Vorbereitung losmarschieren zu können. Und wenn seine Partner oder seine Mandanten etwas dagegen haben, ist das ihr Bier. Er ist in seinem Job so gut, dass man ihm seine Eigenbrötlerei gern verzeiht.«
Das könnte eine Erklärung sein. Nachdem Louise Crag Gill fluchtartig verlassen hatte, war Wagg vielleicht in die Berge aufgebrochen. Die Wetterwarnungen der Meteorologen würden einen wütenden Mann auf der Suche nach Einsamkeit nicht weiter beunruhigen. Daniel kehrte in die warme Küche zurück und wählte die Nummer von Tarn Cottage. Schon beim zweiten Läuten hob Louise ab.
»Daniel?«
»Das Haus war nicht verschlossen, und es gibt keinen Strom, aber ich kann ihn nirgends finden.«
»Wo bist du jetzt?«
»Ich stehe vor der Heizung in der Küche und versuche, meine Hände wieder aufzutauen.«
»Hast du Blutspuren gefunden?«
»Warum sollte ich? Du hast doch gesagt, du hättest ihm höchstens einen Kratzer verpasst.«
Louise ging nicht auf die Stichelei ein. »Irgendwie kommt es mir merkwürdig vor.«
»Vielleicht ist er einfach hinausgestürmt und hat vergessen abzuschließen.«
»Nicht Stuart! Er ist geradezu fanatisch auf Sicherheit bedacht. Allein der Gedanke, jemand könne seine geliebten Bücher stibitzen ...«
»Vielleicht war er so wütend, dass er nicht mehr vernünftig reagierte. Kann sein, dass er auf dem Weg zu den Langdale Peaks ist.« Er zögerte. »Oder in der Notaufnahme.«
»Warum glaubst du mir nicht?« Sie schrie so laut ins Telefon, dass er den Hörer ein Stück vom Ohr entfernt halten musste. »Ich habe ihm kaum einen Kratzer beigebracht.«
»Was auch immer. Tatsache ist, dass er nicht zu Hause ist und dass jeder hier in Crag Gill nach Belieben ein und aus gehen und das ganze Haus durchsuchen kann, wie ich es gerade getan habe.«
Er hörte, wie seine Schwester leise fluchte und wartete.
»In der Schranktür über der Mikrowelle hängt ein Ersatzschlüssel. Ich habe ihn heute Morgen dort gelassen, weil ich ihn nicht mehr brauche. Aber du solltest vielleicht doch abschließen.«
»Wird gemacht. Ich will aber noch sein Büro anrufen. Vielleicht hat man dort von ihm gehört. Könntest du mir bitte die Nummer geben?«
Er fand
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