Zu Staub Und Asche
frühen Jahren hatte er ihren Mangel an Hausfraulichkeit liebenswert gefunden, doch inzwischen ärgerte er sich darüber. Ein DCI sollte doch sicher nicht nachlässig sein, oder? Marc hatte eine Schwäche für Ordnung und Methodik; die wirkliche Welt war unordentlich und unbefriedigend genug - auch einer der Gründe, warum er sich bei jeder Gelegenheit in dreibändige viktorianische Romane flüchtete.
Er zwängte seine Füße in ein Paar nagelneue Sportschuhe. Sie waren sehr eng. Er hatte sie erst ein einziges Mal angehabt und sich damit blutige Blasen gelaufen, aber heute wollte er sie als Buße tragen. Im Flur hing ein antiker Spiegel, den er bei einem Flohmarkt auf dem Gelände der Brauerei von Kendal am Tag nach ihrem Einzug erstanden hatte - ein überteuerter Impulskauf. Sein Spiegelbild blickte ihn finster an, als ärgere es sich über seine Verschwendungssucht. Nachdem die Anwälte ihm das Erbe seiner Tante ausbezahlt hatten, hatte er ein wenig über die Stränge geschlagen. Er hatte zu viele Bücher eingelagert, die er nicht loswurde, während die Renovierung und die vielen Reparaturen im Haus und das neue Ladenlokal in Sedbergh mehr Geld verschlangen, als er vorgesehen hatte. Allein das neue Dach hatte seine Kalkulation um das Doppelte überstiegen. Die Ende Dezember fälligen Mietzahlungen für die beiden Ladenlokale hatten ihn an die Grenze seines Budgets gebracht. Wenn er darüber nachdachte, brach ihm der kalte Schweiß aus. Hannah wusste noch nichts davon: Eigentlich hatte er sie schon längst einweihen wollen, aber irgendwie fand sich nie der richtige Zeitpunkt.
Er stand in der Garderobe und zog den Reißverschluss seines Anoraks zu. Die Wasserhähne am Waschbecken tropften ständig, und der Holzrahmen des Fensters war so morsch, dass er keinen weiteren Lake-District-Winter überstehen würde. Es war noch so unendlich viel zu tun, und Marc war sich nicht sicher, ob Hannah sich in ihrem neuen Heim wirklich wohlfühlte. War sie nur deshalb einverstanden gewesen, nach Undercrag zu ziehen, weil das Haus in der Nähe des Schlangenweihers lag?
Er könnte es nicht ertragen, allein hier zu leben. Zwischen dem Gefühl, sich in der eigenen Gesellschaft wohlzufühlen, und der hallenden Leere eines einsamen Lebens lagen Welten. Bis zum heutigen Morgen war er davon ausgegangen, dass er und Hannah den Rest ihres Lebens gemeinsam verbringen würden. Als sie sich geliebt hatten, gab es kein Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmte. Aber dann war er nachts aufgewacht und konnte nicht mehr einschlafen. Gegen vier Uhr war er aufgestanden, um sich eine heiße Schokolade zu machen. Dabei fiel ihm ihr Handy auf, das auf der Kommode lag. Irgendetwas veranlasste ihn, ihre Nachrichten zu kontrollieren. Natürlich war es unverzeihlich, aber er war nun einmal neugierig und sie hatte sich außergewöhnlich undeutlich über die Arbeit geäußert, die sie angeblich am Abend noch erledigen musste. Er erwartete, dass es etwas war, das sie ohne Weiteres hätte aufschieben können, wäre sie nicht ein solcher Workaholic gewesen.
Sie hatte ihre letzte SMS nicht gelöscht. Nachlässig wie immer. Als er aber die Worte las, wurde seine Kehle trocken, und sein Herz hämmerte wie verrückt gegen seine Rippen.
Verspäte mich, viel Verkehr. Daniel.
***
Verkehr. Scheißverkehr. Während Marc auf der A591 an einer roten Ampel im Stau stand, überlegte er, dass nur Daniel Kind diese SMS geschickt haben konnte. Er war gerade wieder nach England zurückgekehrt und nach der Trennung von seiner Freundin ein freier Mann. Marc hatte sich schon immer über Hannahs Affinität zu Ben Kind gewundert. Wollte sie jetzt die verpassten Gelegenheiten nachholen, indem sie eine Affäre mit Bens Sohn anfing? War sie nervös geworden? Hatte sie ihn deshalb angelogen? Marc fühlte sich, als hätte man ihm eine Keule über den Schädel gezogen.
Wenn sie nichts zu verbergen hätte, wäre es doch kein Problem gewesen, einfach zu sagen, dass sie sich mit Daniel treffen wollte. Vielleicht hätte er sogar Lust gehabt, ebenfalls zu kommen. Womöglich hatte sie genau deshalb die Arbeit vorgeschoben. Manchmal waren drei eben doch einer zu viel.
Ein ungeduldiges Hupen riss ihn aus seiner Träumerei. Die Ampel war auf Grün umgesprungen, und er hatte getrödelt. Er hob die Hand, um sich bei seinem Hintermann zu entschuldigen, trat das Gaspedal durch und nahm die nächste Kurve so schnell, dass er auf die Gegenfahrbahn geriet. Glücklicherweise hatte sich just an
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