Zu Staub Und Asche
bestimmt, ich wäre eine neurotische Soziopathin.«
»Sie ist Detective Chief Inspector, da sollte sie so schnell nichts schockieren. Wenn man jahrelang bei der Kriminalpolizei arbeitet, ist man so einiges gewöhnt.«
Louise kaute auf ihren Cornflakes herum. »Ich nehme an, dass auch Dad ein paar ziemlich schlimme Sachen erlebt hat. Wie ist es nur möglich, dass jemand aus freien Stücken einen solchen Job macht? Ich würde das nie und nimmer durchhalten. Schon gar nicht bei der Kripo, wo es immer um Tod und Schicksalsschläge geht. Stell dir mal vor, du müsstest Eltern die Nachricht überbringen, dass ihr Kind ermordet wurde. Eine solche Arbeit würde mich fertigmachen.«
»Als ich klein war, hat er mir mal erzählt, dass es wie eine Art Sucht wäre. Nachdem er die Droge einmal im Blut hatte, konnte er sich nicht mehr vorstellen, je etwas anderes zu tun.«
»Du hast ihn immer verstanden.« Sie wandte ihm ihr Gesicht zu. Ohne Make-up wirkte ihr Gesicht nackt. Die kesse Anwandlung von vorhin war verflogen. »Ich leider nie.«
An einem anderen Tag hätte er vielleicht gestichelt. Du hast es ja auch nie versucht. Wie viele Geschwister stritten sie häufig. Doch stattdessen sagte er: »Hannah hat mir versprochen, dass sie sich darum kümmert und mir auch Bescheid sagt, wenn es Neuigkeiten von Stuart gibt.«
»Sie ist an dir interessiert.«
Er nahm den Arm von ihrer Schulter. »Wie meinst du das?«
»Ah, da habe ich wohl einen wunden Punkt berührt. Aber dass es zwischen euch beiden knistert, ist ganz offensichtlich.«
»Du spinnst doch. Sie ist seit Jahren liiert.«
»Soll ich dir mal was sagen?« Sie beugte sich zu ihm. »Marc Amos hat sie auf dieser Party kaum beachtet.«
»Das ist nichts Außergewöhnliches. Viele Paare bemühen sich, auch nach außen hin offen ...«
»Du versuchst, sie zu entschuldigen.« Plötzlich kam wieder ein Hauch von Louises gewohnter Schärfe zum Vorschein. Sie konnte einfach nicht aus ihrer Haut. »Vertrautheit bringt oft Geringschätzung mit sich. Zumindest aber Langeweile.«
»Jetzt mach aber mal halblang, Louise! Ich spreche mit Hannah gern über Dad. Sie weiß Dinge über ihn, die ich nie kennengelernt habe. Und mehr ist nicht. Im Übrigen habe ich nicht die geringste Lust auf eine neue Beziehung. Zumindest nicht auf etwas so Schwieriges wie mit Miranda. Ich brauche eine Auszeit.«
Ihre Augen sagten: Du protestierst zu heftig.
»Du hattest deine Auszeit. Deswegen bist du ja nach Amerika abgehauen. Du wolltest deine Wunden lecken, ehe du ganz neu beginnst ...«
Er stöhnte. »Du klingst wie eine Kummerkastentante.«
»Vielleicht solltest du ab und zu auch mal die Lebensratgeber lesen.« Sie grinste verschmitzt. »Da lernst du das wahre Leben kennen.«
»Ich glaube, ich könnte so viel von dem Zeug lesen, wie ich will - ich werde trotzdem nie begreifen, wie Frauen ticken.«
»So, wie ich unseren Vater nie begriffen habe?«, fragte sie sanft. »Ich habe nie verstanden, warum er uns wegen dieser Frau verlassen hat. Oder im Hinblick auf Stuart: Warum hat er mich so behandelt? Sollten Männer und Frauen überhaupt versuchen, einander zu verstehen? Ich glaube, das ist, als versuche man, einen unlösbaren Code zu knacken.«
Marc wälzte sich erst aus dem Bett, als Hannah von unten ein »Tschüs, bis heute Abend« hinaufträllerte. Es war ein Zeichen von guter Laune; häufig verließ sie das Haus wortlos, weil sie in Gedanken schon ganz auf ihre Arbeit fokussiert war. Der Sex gestern Abend war gut gewesen. Marc wünschte, er könnte ganz sicher sein, dass dies der Grund für ihre Fröhlichkeit war. Aber sein Vertrauen war dahin.
Es war zu einfach, ihren Job für alles verantwortlich zu machen, was schiefgelaufen war. In ihrer ersten gemeinsamen Zeit hatte es ihm gefallen, dass sie bei der Polizei arbeitete. Er war froh, Zeit und Freiräume zu haben und sich ganz in Büchern und Träumen verlieren zu können. Hannahs Anekdoten über ihre Fälle faszinierten ihn; sie war eine ausgezeichnete Geschichtenerzählerin, und vor langer Zeit hatte er sie sogar ermutigt, ihre Erlebnisse ein wenig auszuschmücken und ein Buch daraus zu machen - Was einer Polizistin nie passieren dürfte oder so ähnlich -, aber bei diesem Vorschlag lachte sie nur und wehrte ab. Taten waren ihr wichtiger als Worte.
In der morgendlichen Eile hatte sie vergessen, ihre Frühstücksutensilien in den Geschirrspüler zu räumen. Marc stellte die benutzten Tassen und Teller in eine ordentliche Reihe. In ihren
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