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Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Titel: Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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zeigten.
    Sie fragte sich manchmal, ob er wohl andere Frauen hatte. Sie selbst spielte mit dem Gedanken, einen Deutschen zu heiraten, der ihr den Hof machte. Aber der Deutsche war viel zu pedantisch, und sie hatte ihn im Verdacht, eine brave Hausfrau zu wollen. Außerdem war sie nicht in ihn verliebt. Ihr Blut kühlte sich merklich ab, als er die gesitteten deutschen Liebesworte sprach.
    Sobald Maxim von diesem ehrenhaften Antrag hörte, sagte er, sie solle besser ihn selbst heiraten. Vorausgesetzt, sie könne sich mit dem abfinden, was er zu bieten habe. Dabei tat er so, als rede er über sein Geld. Sich mit seinem Reichtum abzufinden war natürlich ein Witz. Sich mit einem lauwarmen, höflichen Gefühlsangebot abzufinden, ohne Erwähnung der Enttäuschungen und Streitigkeiten, die meistens von ihr ausgegangen waren – das ließ sich ganz anders an.
    Sie flüchtete sich in Neckereien, ließ ihn in dem Glauben, dass sie ihn nicht ernst nahm, und es wurde nichts entschieden. Aber als sie wieder in Stockholm war, ärgerte sie sich über ihre eigene Dummheit. Und so schrieb sie Julia, bevor sie sich zu Weihnachten nach Süden aufmachte, sie wisse nicht, ob sie in ihr Glück oder in ihr Unglück gehe. Sie meinte damit, sie werde erklären, dass es ihr ernst mit der Heirat sei, und herausfinden, wie ernst es ihm damit sei. Sie habe sich auf die demütigendste Enttäuschung vorbereitet.
    Die blieb ihr erspart. Maxim erwies sich schließlich als Gentleman und hielt Wort. Sie würden im Frühjahr heiraten. Sobald das feststand, wurde ihr Umgang miteinander entspannter als je zuvor. Sofia beherrschte sich, schmollte nicht und bekam auch keine Wutausbrüche. Er erwartete von ihr einiges an Sittsamkeit, aber nicht die Sittsamkeit der braven Hausfrau. Er machte ihr nie Vorwürfe, wie es ein schwedischer Ehemann vielleicht getan hätte, wegen ihrer Zigaretten und ihrer ewigen Teetasse und ihrer politischen Brandreden. Und sie war gar nicht so ungehalten darüber, dass er, wenn ihn die Gicht plagte, genauso unvernünftig, unerträglich und voller Selbstmitleid sein konnte wie sie selbst. Sie waren schließlich Landsleute. Und sie langweilte sich – wenn auch schuldbewusst – bei diesen vernünftigen Schweden, die immerhin als einziges Volk in Europa bereit gewesen waren, eine Frau auf den Mathematiklehrstuhl ihrer neuen Universität zu berufen. Ihre Hauptstadt war zu sauber und ordentlich, ihre Gewohnheiten zu regelmäßig, ihre Feste zu förmlich. Sobald sie entschieden hatten, dass ein bestimmter politischer Kurs richtig war, folgten sie ihm stur, ohne diese belebenden und wahrscheinlich gefährlichen nächtelangen Streitgespräche, die in Petersburg und Paris kein Ende nehmen wollten.
    Maxim würde ihrer eigentlichen Arbeit, nämlich nicht der Lehre, sondern der Forschung, nicht im Wege stehen. Er würde froh sein, dass sie etwas hatte, was sie beschäftigte, auch wenn sie den Verdacht hegte, dass er Mathematik zwar nicht gänzlich unbedeutend, aber etwas abwegig fand. Wie konnte ein Professor des Rechts und der Gesellschaftswissenschaft auch anders denken?
     
    Es ist wärmer in Nizza, als er sie ein paar Tage später zu ihrem Zug bringt.
    »Wie kann ich fahren, wie kann ich diese laue Luft verlassen?«
    »Aber dein Schreibtisch und deine Differentialgleichungen erwarten dich. Im Frühjahr wirst du dich nicht losreißen können.«
    »Meinst du?«
    So durfte sie nicht denken – sie durfte nicht denken, dass er ihr damit durch die Blume sagen wollte, er wünsche, sie würden nicht im Frühjahr heiraten.
    Sie hat Julia schon geschrieben, dass es doch auf Glück hinausläuft. Doch auf Glück. Glück.
     
    Auf dem Bahnsteig kreuzt eine schwarze Katze schräg ihren Weg. Sie verabscheut Katzen, insbesondere schwarze. Aber sie sagt nichts und bezwingt ihren Schauder. Und als wolle er ihre Selbstbeherrschung belohnen, bietet er an, sie bis Cannes im Zug zu begleiten, falls ihr das genehm ist. Sie kann kaum antworten vor lauter Dankbarkeit. Auch vor einem katastrophalen Tränenschwall. Weinen in der Öffentlichkeit ist ihm ein Graus. (Nicht, dass er es zu Hause erträglicher fände.)
    Es gelingt ihr, die Tränen zurückzuhalten, und als der Zug Cannes erreicht, schließt er sie in seine voluminöse, gut geschnittene Bekleidung mit ihrem Geruch nach Männlichkeit – einer Mischung aus Pelztieren und teurem Tabak. Er küsst sie züchtig, fährt aber kurz mit der Zunge über ihre Lippen, zur Erinnerung an privatere Gelüste.
    Sie

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