Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
bringen einem alles Mögliche bei …«
Er schüttelte lächelnd den Kopf.
»Doch, wirklich«, sagte sie. »Sie haben mir das Schlittschuhlaufen beigebracht …«
»Sicherlich. Haben Sie das Schlittschuhlaufen nicht in Russland gelernt?«
»Dort ist man nicht so … so hartnäckig, einem etwas beizubringen wie in Schweden.«
»Auf Bornholm auch nicht«, sagte er. »Ich lebe jetzt auf Bornholm. Die Dänen sind nicht so … hartnäckig, das ist das richtige Wort. Aber natürlich sind wir auf Bornholm nicht einmal Dänen. Wir sagen jedenfalls, wir sind keine.«
Er war Arzt, auf der Insel Bornholm. Sie überlegte, ob es sehr ungehörig sei, ihn zu bitten, sich ihren Hals anzusehen, der jetzt sehr weh tat. Doch, dachte sie dann, das ist ungehörig.
Er sagte, er habe noch eine lange und wahrscheinlich raue Überfahrt auf der Fähre vor sich, nachdem die dänische Grenze passiert war.
Die Leute auf Bornholm hielten sich nicht für Dänen, sagte er, denn sie hielten sich für Wikinger, die im sechzehnten Jahrhundert in die Hanse aufgenommen worden waren. Ihre Geschichte war von Kämpfen geprägt, sie nahmen andere Seefahrer gefangen. Hatte sie je von dem verruchten Earl of Bothwell gehört? Einige Leute sagen, er starb auf Bornholm, obwohl die Leute von Seeland sagen, er starb dort.
»Er ermordete den Ehemann der Königin von Schottland und heiratete sie selbst. Aber er starb in Ketten. In geistiger Umnachtung.«
»Maria Stuart«, sagte sie. »Davon habe ich gehört.« Und das hatte sie wirklich, denn die schottische Königin war eine von Anjutas frühen Heldinnen gewesen.
»Oh, verzeihen Sie. Ich plappere.«
»Ihnen verzeihen?«, fragte Sofia. »Was habe ich Ihnen zu verzeihen?«
Er wurde rot. Er sagte: »Ich weiß, wer Sie sind.«
Er habe es nicht von Anfang an gewusst, sagte er. Aber sobald sie Russisch sprach, war er seiner Sache sicher.
»Sie sind die Professorin. Ich habe von Ihnen in einer Zeitschrift gelesen. Sie waren auch darin abgebildet, aber da sahen Sie viel älter aus als in Wirklichkeit. Es tut mir leid, dass ich mich Ihnen aufgedrängt habe, aber ich konnte nicht anders.«
»Ich schaute für die Aufnahme sehr streng drein, weil ich dachte, wenn ich lächle, wird man mir nicht trauen«, sagte Sofia. »Gilt das nicht in gewissem Maß auch für Ärzte?«
»Das kann sein. Ich bin es nicht gewohnt, von Fotografen aufgenommen zu werden.«
Eine gewisse Verlegenheit machte sich jetzt zwischen ihnen breit; es war an ihr, sie ihm zu nehmen. Bevor er es ihr gestanden hatte, war ihre Unterhaltung ungezwungener gewesen. Sie kehrte zum Thema Bornholm zurück. Es war steil und zerklüftet, sagte er, nicht sanft und wellig wie Dänemark. Die Leute kamen wegen der Landschaft und der klaren Luft dorthin. Wenn sie je den Wunsch hegen sollte, die Insel zu besuchen, so werde es ihm eine Ehre sein, sie herumzuführen.
»Es gibt dort höchst seltenes blaues Gestein«, sagte er. »Man nennt es blauen Marmor. Es wird zerkleinert und geschliffen, damit Damen es um den Hals tragen können. Wenn Sie je so ein Stück haben möchten …«
Er redete dummes Zeug, denn da war etwas, das er ihr sagen wollte, aber nicht konnte. Das merkte sie ihm an.
Sie näherten sich Rostock. Er wurde immer aufgeregter. Sie befürchtete schon, er werde sie bitten, ihm auf einem Blatt Papier oder in einem Buch, das er bei sich hatte, ein Autogramm zu geben. Es kam sehr selten vor, dass jemand sie darum bat, aber es machte sie stets traurig, sie wusste nicht, warum.
»Bitte hören Sie mir zu«, setzte er wieder an. »Ich muss Ihnen etwas sagen. Es soll nicht darüber geredet werden. Bitte. Fahren Sie auf Ihrem Weg nach Stockholm bitte nicht über Kopenhagen. Haben Sie keine Angst, ich bin bei klarem Verstand.«
»Ich habe keine Angst«, sagte sie. Aber ein wenig Angst hatte sie doch.
»Sie müssen den anderen Weg nehmen, den über die Inseln. Ändern Sie auf dem Bahnhof Ihre Fahrkarte.«
»Darf ich fragen, warum? Liegt ein Bann auf Kopenhagen?«
Sie war plötzlich sicher, er werde ihr von einer Verschwörung berichten, von einer Bombe.
War er etwa ein Anarchist?
»In Kopenhagen grassieren die Pocken. Es ist eine Epidemie ausgebrochen. Viele Menschen haben die Stadt verlassen, aber die Behörden sind bemüht, es geheim zu halten. Sie befürchten, dass eine Panik um sich greift oder dass einige hingehen und die Regierungsgebäude anzünden. Das Problem sind die Finnen. Die Leute sagen, dass die Finnen die Pocken eingeschleppt
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