Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
bringen. In dem Haus von Mr Purvis war so viel Platz, dass sie dachte, sie könnten kommen und bei ihr wohnen. Aber als sie davon redete, erklärte ihr Mr Purvis, dass ihm Kinder zuwider seien. Er wollte auch auf keinen Fall, dass sie schwanger wurde. Aber irgendwie wurde sie es doch, und Mr Purvis fuhr mit ihr nach Japan, damit sie dort abtreiben konnte.
Bis zur letzten Minute war sie überzeugt, dass sie das tun werde, und dann entschied sie sich dagegen. Sie würde das Kind zur Welt bringen.
Wie du willst, sagte er. Er erklärte sich bereit, ihren Rückflug nach Chicago zu bezahlen, und von da an war sie auf sich allein gestellt.
Sie kannte sich inzwischen ein wenig aus, und sie ging in ein Haus, in dem man bis zur Geburt des Kindes versorgt wurde und es dann zur Adoption freigeben konnte. Es wurde geboren, und es war ein Mädchen, und Nina nannte es Gemma und beschloss, es zu behalten.
Sie kannte eine andere junge Frau, die da ein Kind bekommen und es behalten hatte, und beide kamen überein, dass sie zusammenziehen und schichtweise arbeiten und ihre Kinder aufziehen würden. Sie besorgten sich eine Wohnung, die sie bezahlen konnten, und Arbeit – Nina in einer Cocktailbar –, und alles war gut. Dann kam Nina kurz vor Weihnachten nach Hause – da war Gemma acht Monate alt – und fand die andere Mutter vor, wie sie betrunken mit einem Mann herummachte, und die Kleine, Gemma, hatte hohes Fieber und war zu schwach, um zu weinen.
Nina wickelte sie in eine Decke und nahm sich ein Taxi und brachte sie ins Krankenhaus. Der Verkehr staute sich wegen Weihnachten, und als sie endlich dort ankam, sagte man ihr, es sei aus irgendeinem Grund das falsche Krankenhaus, und schickte sie in ein anderes, und auf dem Weg dahin bekam Gemma Krämpfe und starb.
Sie wollte für Gemma ein richtiges Begräbnis haben, damit sie nicht zu einem Bettler, der gestorben war, in ein Armengrab gelegt wurde (sie hatte gehört, dass das mit einem toten Säugling passierte, wenn man kein Geld hatte), also ging sie zu Mr Purvis. Er war netter zu ihr, als sie erwartet hatte, er bezahlte den Sarg, den Grabstein mit Gemmas Namen darauf und alles Übrige, und nachdem alles vorbei war, nahm er Nina wieder bei sich auf. Er machte mit ihr eine weite Reise nach London und Paris und in viele andere Städte, um sie aufzuheitern. Als sie zurückkamen, schloss er das Haus in Chicago und zog hierher. Er besaß ein Anwesen in der Nähe, draußen auf dem Land, wo er Rennpferde hielt.
Er fragte sie, ob sie gern eine höhere Bildung hätte, was sie bejahte. Er sagte, sie solle sich einfach in einige Kurse setzen, um herauszufinden, was sie gern studieren würde. Sie erwiderte, dass sie am liebsten an einigen Tagen in der Woche wie eine ganz normale Studentin leben würde, sich wie sie anziehen und wie sie studieren würde, und er sagte, das müsse sich einrichten lassen.
Angesichts ihres Lebens kam ich mir vor wie eine unbedarfte Landpomeranze.
Ich fragte sie nach dem Vornamen von Mr Purvis.
»Arthur.«
»Warum nennst du ihn nicht so?«
»Das würde sich unnatürlich anhören.«
Nina durfte abends nicht ausgehen, höchstens ins College für bestimmte besondere Veranstaltungen wie eine Theateraufführung oder ein Konzert oder eine Lesung. Sie musste das Mittag- und das Abendessen in der Mensa einnehmen. Obwohl ich, wie gesagt, nicht weiß, ob sie es je tat. Das Frühstück bestand aus Nescafé in unserem Zimmer und aus Doughnuts vom Vortag, die ich von der Mensa mitbekommen hatte. Mr Purvis gefiel das nicht so recht, aber er nahm es hin als Teil von Ninas Nachahmung des Lebens einer College-Studentin. Solange sie nur einmal am Tag eine warme Mahlzeit zu sich nahm und als weitere Mahlzeit ein Sandwich und eine Suppe, war er zufrieden, und sie ließ ihn in dem Glauben. Sie schaute nach, was in der Mensa angeboten wurde, damit sie ihm sagen konnte, sie habe die Würstchen oder den falschen Hasen gegessen, das Sandwich mit Lachs oder Eiersalat.
»Wie soll er denn erfahren, ob du ausgehst?«
Nina stand auf, mit diesem ihr eigenen leisen Laut der Klage oder des Behagens, und schlich zum Dachfenster.
»Komm mal her«, sagte sie. »Und bleib hinter der Gardine. Siehst du?«
Ein schwarzes Auto, das nicht genau gegenüber auf der Straße parkte, sondern ein paar Häuser weiter. Eine Straßenlaterne warf Licht auf die weißen Haare der Fahrerin.
»Mrs Winner«, sagte Nina. »Sie wird bis Mitternacht da stehen. Oder länger, ich weiß es
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