Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
wissen es nicht.«
»Ha!«
Die junge Mrs Crozier fuhr mich nach Hause, obwohl ich nur vom einen Ende der Kleinstadt bis zum anderen musste. Sie war eine große, dünne blonde Frau mit wechselnder Gesichtsfarbe. Manchmal hatte sie rote Flecken auf den Wangen, als habe sie sich gekratzt. Man munkelte, sie sei älter als ihr Mann, und er sei im College ihr Student gewesen. Meine Mutter sagte, dass sich offenbar niemand das so recht überlegt hatte, denn da er ein Kriegsveteran war, konnte er ohne weiteres ihr Student gewesen sein, ohne dass sie älter war. Die Leute mäkelten nur an ihr herum, weil sie Bildung besaß.
Außerdem sagte man, sie könne doch jetzt zu Hause bleiben und ihn pflegen, wie sie es bei der Trauung versprochen hatte, statt auswärts zu unterrichten. Wieder verteidigte meine Mutter sie und wandte ein, es sei doch nur an zwei Nachmittagen in der Woche, und sie müsse in ihrem Beruf bleiben, schließlich werde sie bald genug alleine dastehen. Und musste sie der alten Dame nicht wenigstens hin und wieder aus dem Weg gehen, um nicht verrückt zu werden? Meine Mutter verteidigte immer Frauen, die von sich aus arbeiteten, und meine Großmutter hackte deswegen immer auf ihr herum.
Eines Tages versuchte ich, mit der jungen Mrs Crozier, oder Sylvia, ein Gespräch zu führen. Sie war der einzige Mensch, den ich kannte, der ein College absolviert hatte, ganz zu schweigen davon, dass sie an einem unterrichtete. Bis auf ihren Mann natürlich, aber der zählte nicht mehr.
»Hat Toynbee Geschichtsbücher geschrieben?«
»Wie bitte? Ach so. Ja.«
Niemand von uns bedeutete ihr etwas, weder ich noch ihre Kritiker oder Verteidiger. Nicht mehr als Insekten auf einem Lampenschirm.
Was der alten Mrs Crozier wirklich am Herzen lag, das war ihr Blumengarten. Sie hatte jemanden, der kam und ihr half, ein Mann etwa in ihrem Alter, aber gelenkiger als sie. Er wohnte in unserer Straße, und durch ihn hatte sie von mir als möglicher Angestellten gehört. Zu Hause schwatzte er nur und ließ das Unkraut wachsen, aber hier jätete und mulchte und harkte er, wobei sie ihm, auf ihren Stock gestützt und mit einem großen Strohhut auf dem Kopf, nicht von der Seite wich. Manchmal saß sie auf ihrer Bank, erteilte immer noch Ratschläge und Anweisungen und rauchte eine Zigarette. Anfangs wagte ich es, zwischen den perfekten Hecken hindurchzugehen und zu fragen, ob sie oder ihr Helfer ein Glas Wasser wollten, und sie rief: »Nicht auf meine Beete treten«, bevor sie nein sagte.
Blumen wurden nicht ins Haus gebracht. Ein wenig Mohn war entkommen und blühte wild hinter der Hecke, fast auf der Straße, also fragte ich, ob ich davon einen Strauß pflücken durfte, um das Krankenzimmer aufzuhellen.
»Der stirbt doch nur«, sagte sie, wobei ihr nicht klar zu sein schien, wie doppeldeutig ihre Bemerkung unter diesen Umständen war.
Manche Vorschläge oder Ideen bewirkten, dass die Muskeln in ihrem hageren, fleckigen Gesicht zuckten, ihre Augen scharf und dunkel wurden und ihr Mund arbeitete, als habe sie einen widerwärtigen Geschmack auf der Zunge. Sie konnte einen damit festbannen, wie ein wild gewordener Dornbusch.
Die beiden Tage, an denen ich arbeitete, hingen nicht zusammen. Sagen wir, es war dienstags und donnerstags. Am ersten Tag war ich allein mit dem Kranken und der alten Mrs Crozier. Am zweiten Tag kam jemand, von dem man mir nichts gesagt hatte. Ich hörte ein Auto in der Auffahrt, dann rasche Schritte auf der Hintertreppe und eine Person, die die Küche betrat, ohne anzuklopfen. Sie rief: »Dorothy«, so hieß also offenbar die alte Mrs Crozier. Die Stimme war die einer jungen Frau oder eines Mädchens, und sie war frech und neckisch, so dass man sich fast davon gekitzelt fühlte.
Ich lief die Hintertreppe hinunter und sagte: »Ich glaube, sie ist im Wintergarten.«
»Heiliger Strohsack. Wer bist du denn?«
Ich sagte ihr, wer ich war und was ich da machte, und die junge Frau sagte, ihr Name sei Roxanne.
»Ich bin die Masseurin.«
Ich wurde nicht gern von Wörtern erwischt, die ich nicht kannte. Ich sagte nichts, aber sie merkte, was los war.
»Hab dich auf dem falschen Fuß erwischt, wie? Ich gebe Massagen. Je davon gehört?«
Jetzt packte sie die Tasche aus, die sie mitgebracht hatte. Verschiedene Polster, Tücher und flache, mit Velours bezogene Bürsten kamen zum Vorschein.
»Ich brauche etwas heißes Wasser, um die hier aufzuwärmen«, sagte sie. »Du kannst mir welches im Kessel heiß
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