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Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)

Titel: Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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machen.«
    Dieses Haus war zwar groß und prächtig, aber aus den Hähnen floss auch nur kaltes Wasser wie bei mir zu Hause.
    Sie schätzte mich offenbar als jemanden ein, der bereitwillig Befehle entgegennahm – besonders vielleicht Befehle, die mit solch einschmeichelnder Stimme erteilt wurden. Und sie hatte recht, obwohl ihr wahrscheinlich nicht klar war, dass meine Bereitschaft mehr mit meiner Neugier als mit ihrem Charme zu tun hatte.
    Sie war schon so früh im Sommer braungebrannt, und ihre zum Pagenkopf geschnittenen Haare hatten einen kupfernen Glanz – den man heute ohne weiteres aus der Flasche bekommt, der aber damals ungewöhnlich und beneidenswert war. Braune Augen, ein Grübchen in einer Wange, ein ständiges Lächeln und Necken, so dass man sie nie gründlich genug betrachten konnte, um zu sagen, ob sie wirklich hübsch war oder wie alt sie war.
    Ihr Rumpf wölbte sich ansehnlich nach hinten, statt seitwärts auseinanderzuquellen.
    Ich erfuhr bald, dass sie neu in der Stadt war, mit einem Autoschlosser bei der Esso-Tankstelle verheiratet und zwei kleine Jungen hatte, der eine vier, der andere drei Jahre alt. »Ich hab eine Weile gebraucht, um zu begreifen, wodurch sie entstanden sind«, sagte sie mit verschwörerischem Zwinkern.
    Sie hatte in Hamilton, wo sie früher wohnte, eine Ausbildung zur Masseurin gemacht und bald gemerkt, dass sie dafür ein echtes Talent besaß.
    »Dorothy!«
    »Sie ist im Wintergarten«, sagte ich ihr wieder.
    »Ich weiß, ich zieh sie doch bloß auf. Vielleicht weißt du ja nicht, wie das bei einer Massage ist, aber wenn man eine bekommt, muss man sich ganz und gar ausziehen. Kein großes Problem, wenn man jung ist, aber wenn man älter ist, kann einem das sehr peinlich sein.«
    Mit einem hatte sie unrecht, zumindest soweit es mich anging. Nämlich, dass es kein Problem ist, sich ganz und gar auszuziehen, wenn man jung ist.
    »Also solltest du vielleicht verduften.«
    Diesmal benutzte ich die vordere Treppe, während sie mit dem heißen Wasser beschäftigt war. So erhaschte ich einen Blick durch die offene Tür des Wintergartens – der weder im Winter noch im Sommer viel Sonnenlicht bot, da die dicken Blätter von Trompetenbäumen drei seiner Fenster bedeckten.
    Dort sah ich die alte Mrs Crozier auf einer Bettcouch liegen, auf dem Bauch, den Kopf von mir abgewandt, vollkommen nackt. Ein hagerer Streifen bleiches Fleisch. Es sah nicht so alt aus wie die Körperteile von ihr, die täglich freilagen – ihre braun gesprenkelten, von dunklen Adern überzogenen Hände und Unterarme, ihre braunfleckigen Wangen. Das sonst bekleidete Stück ihres Körpers war gelbweiß, wie Holz, das gerade entrindet worden ist.
    Ich setzte mich auf die oberste Stufe und lauschte den Geräuschen der Massage. Dumpfes Klatschen und Stöhnen. Roxannes Stimme jetzt befehlend, fröhlich, aber voller Ermahnungen.
    »Da sitzt ein harter Knoten. Meine Herrn. Ich muss Ihnen jetzt eine reinhauen. Ich mach bloß Spaß. Kommen Sie schon, immer schön locker, mir zuliebe. Da unten haben Sie hübsche Haut. Wie heißt das Ende vom Rücken? Es ist wie ein Babypopo. Jetzt muss ich ein bisschen reindrücken, das werden Sie spüren. Die Spannung rausnehmen. Gut so.«
    Die alte Mrs Crozier juchzte immer wieder auf. Laute der Klage und Dankbarkeit. Das ging noch eine ganze Weile so und wurde mir langweilig. Ich machte mich wieder über alte Ausgaben vom
Canadian Home Journal
her, die ich in einem Wandschrank im Treppenhaus gefunden hatte. Ich las mir Rezepte durch und sah mir veraltete Moden an, bis ich Roxanne sagen hörte: »Jetzt werde ich das hier wegräumen, und dann gehen wir nach oben, wie Sie’s gesagt haben.«
    Nach oben. Ich stopfte die Zeitschriften wieder in den Schrank, den meine Mutter sich sehnlichst gewünscht hätte, und ging ins Zimmer von Mr Crozier. Er schlief oder lag zumindest mit geschlossenen Augen da. Ich verrückte den Ventilator ein Stückchen, zog seine Decke glatt, trat ans Fenster und machte mich am Rouleau zu schaffen.
    Da kam auch schon das Geräusch auf der Hintertreppe, die alte Mrs Crozier mit ihren langsamen und bedrohlich tappenden Schritten und Roxanne, die vorauslief und rief: »Pass auf, pass auf, wo du auch bist. Wir kommen dich holen, wo du auch bist.«
    Mr Croziers Augen waren jetzt offen. Außer der üblichen Verdrossenheit zeigte sein Gesicht ein wenig Beunruhigung. Aber bevor er wieder so tun konnte, als schlafe er, platzte Roxanne ins Zimmer.
    »Also hier

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