Zu viel Glück: Zehn Erzählungen (German Edition)
Zimmer haben und dann wieder draußen auf dem Flur, aber nahe der offenen Tür.
Als meine Mutter davon hörte, wollte sie wissen, warum er nicht im Erdgeschoss lag, wo die Zimmer bestimmt höher waren und er es kühler hatte.
Ich erklärte ihr, unten gebe es keine Schlafzimmer.
»Ach du meine Güte, können die da nicht eines herrichten? Für die Zeit?«
Das zeigte, wie wenig Ahnung sie vom Crozier-Haushalt hatte oder vom Regiment der alten Mrs Crozier. Die alte Mrs Crozier ging am Stock. Sie unternahm an den Nachmittagen, an denen ich da war, einen unheilvoll klingenden Gang die Treppe hinauf, um ihren Stiefsohn zu besuchen, und vermutlich nicht mehr als diesen einen Gang an den Nachmittagen, an denen ich nicht da war. Dann notwendigerweise noch einen, wenn sie zu Bett ging. Die Vorstellung von einem Schlafzimmer im Erdgeschoss hätte sie ebenso empört wie die Vorstellung von einer Toilette im Salon. Zum Glück gab es im Erdgeschoss bereits eine Toilette, hinter der Küche, aber ich war überzeugt, wenn es nur oben eine gegeben hätte, sie hätte den mühsamen Aufstieg so oft wie nötig unternommen, ehe sie einer so radikalen und verstörenden Veränderung zugestimmt hätte.
Meine Mutter trug sich mit Plänen, in den Antiquitätenhandel einzusteigen, also interessierte sie sich sehr für das Innere dieses Hauses. Einmal gelangte sie hinein, an meinem allerersten Nachmittag. Ich war in der Küche und stand wie versteinert, als ich ihr »Juhu« und meinen eigenen fröhlich gerufenen Namen hörte. Dann ihr flüchtiges Anklopfen, ihre Schritte auf den Stufen zur Küche. Und die alte Mrs Crozier, die aus dem Wintergarten tappte.
Meine Mutter sagte, sie sei nur vorbeigekommen, um zu sehen, wie ihre Tochter sich mache.
»Ordentlich«, sagte die alte Mrs Crozier, die in der Tür zum Flur stand und ihr die Sicht auf die Antiquitäten nahm.
Meine Mutter machte noch einige weitere peinliche Bemerkungen, bevor sie den Rückzug antrat. Am Abend sagte sie dann, dass die alte Mrs Crozier keine Manieren hatte, weil sie nur die zweite Frau war, aufgelesen während einer Geschäftsreise nach Detroit, weshalb sie rauchte, sich die Haare schwarz wie Teer färbte und sich Lippenstift dick wie Marmelade auf den Mund schmierte. Sie war nicht mal die Mutter des Kranken im ersten Stock. Für solch einen Sohn hatte sie gar nicht den Grips.
(Anschließend stritten wir uns wieder einmal, diesmal über ihren Besuch, aber das ist Nebensache.)
Der alten Mrs Crozier muss ich ebenso aufdringlich wie meine Mutter vorgekommen sein, ebenso voll fröhlichem Dünkel. An meinem ersten Nachmittag war ich in den hinteren Salon gegangen, hatte den Bücherschrank aufgemacht und die säuberlich aufgereihten Harvard-Klassiker inspiziert. Die meisten entmutigten mich, aber ich nahm einen Band heraus, der mir nach einem Roman aussah, trotz des fremdsprachigen Titels,
I promessi sposi
. Es schien wirklich ein Roman zu sein, und er war auf Englisch.
Ich muss damals die Vorstellung gehabt haben, dass Bücher allen zur Verfügung standen, ganz egal, wo man sie vorfand. Wie Wasser aus einem öffentlichen Brunnen.
Als die alte Mrs Crozier mich mit dem Buch sah, fragte sie, woher ich es hatte und was ich damit wollte. Aus dem Bücherschrank, sagte ich, und ich hatte es mit nach oben genommen, um es zu lesen. Am meisten schien sie daran zu irritieren, dass ich etwas unten herausgenommen und dann nach oben gebracht hatte. Das mit dem Lesen überging sie, als sei solch eine Tätigkeit ihr zu fremdartig, um sich damit zu befassen. Schließlich sagte sie, wenn ich ein Buch wollte, sollte ich mir eins von Zuhause mitbringen.
Die
Promessi sposi
waren ohnehin schwer verdaulich. Ich hatte nichts dagegen, sie in den Bücherschrank zurückzustellen.
Natürlich gab es im Krankenzimmer Bücher. Lesen schien dort statthaft zu sein. Aber sie lagen fast alle aufgeschlagen mit dem Rücken nach oben, als habe Mr Crozier ein wenig darin gelesen und sie gerade beiseitegelegt. Und ihre Titel brachten mich nicht in Versuchung.
Unsere Zivilisation auf dem Prüfstand
.
Die große Verschwörung gegen Russland
.
Und meine Großmutter hatte mich gewarnt, dass ich, wenn es irgend ging, nichts anfassen sollte, was der Patient angefasst hatte, wegen der Bazillen, und dass ich immer einen Lappen zwischen meine Finger und sein Wasserglas legen sollte.
Meine Mutter sagte, Leukämie komme nicht von Bazillen.
»Woher kommt sie dann?«, fragte meine Großmutter.
»Die Mediziner
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