Zu viele Flueche
kennengelernt hatte, waren sehr hartnäckig, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatten. Sie öffnete den Schlitz.
»Leider ist der Meister im Augenblick sehr beschäftigt, Madam. Aber ich habe Anweisung bekommen, Euch für den Abend zum Gästezimmer zu begleiten.«
Die Flammen in den Augen der Zauberin brannten ruhiger, auch wenn sie immer noch nicht glücklich aussah. »Na schön.«
»Entschuldigt mich, Madam. Ich brauche nur einen Augenblick.«
Nessy schloss den Schlitz und wandte sich der Menagerie zu. »Geht bitte weiter. Wenn sie euch alle hier sieht, wird sie auf jeden Fall wissen, dass etwas nicht stimmt. Sagt allen anderen, dass wir eine Zauberin im Schloss haben und sie sich vorsehen sollen. Ein Ausrutscher, und wir sind alle erledigt.«
Die Schar zerstreute sich unter besorgtem Geflüster.
»Pass auf, wo du hintrittst«, warnte Bethany, während sie sich verflüchtigte. »Zerschraaaammmteees Schiiiiieeennnn…«
Die Eingangstür war groß und breit und mit einem schweren Querbalken verschlossen. Nessy versuchte, ihn anzuheben, doch ihr fehlte die Kraft.
»Ich weiß nicht, ob das so eine großartige Idee ist, Mädel.«
»Ist es nicht, aber eine bessere haben wir nicht.« Nessy hob die Hände vor sich und knurrte ihren Levitationszauber, den sie in der vorherigen Nacht gelernt hatte. Der Balken hopste einmal, zweimal, dreimal, bevor er erfolgreich zu Boden fiel.
»Nicht schlecht«, sagte Sir Thedeus. »Vielleicht hast du am Ende doch ein Talent für Magie.«
Die Tür flog auf, und Tiama die Narbige trat ein. Trotz ihres Titels trug sie keinerlei Spur einer Entstellung. Sie war so makellos, dass sie einen völlig nichtssagenden Eindruck machte. Ihre bare weiße Haut war straff und faltenlos. Ihr Haar wirkte so leicht und fein, dass es praktisch unsichtbar war. Die Lippen fehlten um den unerbittlichen Schlitz ihres Mundes herum vollkommen, und ihre Nase war kaum vorhanden. Die Ohren waren so winzig und rund, dass sie Nessy an geschnittene Pilze erinnerten. Die Zauberin trug ein langes, rotes Gewand, das jede Spur ihrer Figur - gut oder schlecht - verwischte. Sie wirkte wie eine ungeheure Abwesenheit von Sein, eine Leere an jeglicher Eigenschaft.
Bis auf ihre Augen. Die waren brutal und brennend - in jeder Hinsicht. Das Feuer darin verriet eine schwarze Seele, die Nessy erschaudern ließ. Margle war ja schon streng gewesen, aber dies hier wirkte noch unerbittlicher als ihr Meister.
Das Nurgax knurrte.
»Gute Götter, was für eine Hexe«, flüsterte Sir Thedeus. Schutz suchend kroch er in Nessys Hemd.
Tiama verschränkte die Arme. Ihre langen Ärmel fielen ihr bis zu den Ellbogen und ließen Unterarme, die ohne Schönheit oder Makel waren, entblößt. Sie hatte die Hände einer unfertigen Marionette, mit knotigen Knöcheln und ohne Fingernägel.
»Hast du einen Namen, Tier?«
»Nessy, Madam.« Sie verneigte sich. »Es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen, Euch zu dienen.«
»Nessy«, wiederholte Tiama und sprach das Wort wie eine furchtbare Beleidigung aus. »Nessy, ich bin heute weit gereist, um die angeblichen Wunder deines Meisters zu sehen.« Sie blickte sich in der Kammer um. »Bislang bleibe ich allerdings höchst unbeeindruckt.«
»Ja, Madam. Der Meister entschuldigt sich in aller Form für die Unannehmlichkeiten. Aber da Ihr so weit gereist seid, bietet er Euch gerne seine Gastfreundschaft für die Nacht an.«
»Gastfreundschaft.« Das Wort klang genauso entsetzlich, wenn Tiama es aussprach.
»Ja, Madam. Wenn Ihr mir bitte folgen möchtet, Madam, führe ich Euch ins Gästezimmer.«
»Es ist noch früh. Erwartet dein Meister denn, dass ich mich für den Abend zurückziehe?«
»Der Meister bittet vielmals um Entschuldigung.« Nessy zögerte. Das Lügen fiel ihr nicht leicht. »Er ist im Augenblick mit einem sehr riskanten alchemistischen Experiment beschäftigt. Er wird die ganze Nacht unabkömmlich sein.«
»Unabkömmlich.« Sie spuckte die Silben mit offensichtlichem Ekel aus. Möglicherweise blickte sie dabei auch finster drein, aber ihr Mund bewegte sich kaum, deshalb war es schwer, mögliche Gesichtsausdrücke zu erkennen. »Und warum hätte Margle mit einem Experiment beginnen sollen, das ihn die ganze Nacht kosten wird, wenn er doch wusste, dass ich komme?«
Das war eine vernünftige Frage, und Nessy hatte keine vernünftige Antwort parat. Tiama wertete Nessys Zögern als nichts Besonderes, es war lediglich die schreckliche Verwirrung, die solch ein einfaches Wesen
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