Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zu viele Flueche

Zu viele Flueche

Titel: Zu viele Flueche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Lee Martinez
Vom Netzwerk:
zu verstehen. Niemand sah sich selbst genau so, wie er wirklich war, und sogar die praktisch veranlagte Nessy war keine Ausnahme von dieser Regel.
    Ihr erster Halt, noch vor dem Frühstück, war der Violette Raum. Schweigend stand sie in dem leeren Gefängnis. Licht drang durch den Türrahmen, und prüfend blickte sie auf Hunderte von winzigen Aschehäufchen. Sie wusste nicht recht, was sie davon halten sollte.
    Sir Thedeus, der sich davon erholt hatte, in der Nacht zuvor gefressen und wieder erbrochen worden zu sein, schmiegte sich an ihre Schulter. »Meinst du, die Dämonin hat das alles hier nur mit einem Klumpen Kohle angestellt?«
    »Ich glaube, es gibt nichts, was so vorhersehbar gefährlich ist wie ein Dämon, der bekommt, was er will.« Sie sah finster drein, auch wenn sie nicht recht wusste, warum. Doch im Unterbewusstsein, in irgendeiner dunklen, unterentwickelten, schändlichen Ecke ihrer Persönlichkeit, spürte sie einen Anflug von Schuldgefühlen, und zwar deshalb, weil sie ihren Teil der Abmachung eingehalten hatte.
    Das Nurgax, das ihren inneren Konflikt besser spürte als sie, leckte sie zweimal mit seiner großen, nassen Zunge, um sie zu trösten. Nessy lächelte und kraulte es unter der Schnauze. Sein Bein stampfte rhythmisch auf.
    »Vielleicht ist das finstere Wesen bei seinem Fluchtversuch umgekommen«, sagte Sir Thedeus.
    »Es wäre weiser, davon auszugehen, dass es nicht so war.« Sie zerrieb ein bisschen graues Pulver zwischen ihren Fingern und schnüffelte daran. Es roch nach verbranntem Fleisch.
    »Vielleicht hat sie das Schloss ja ganz verlassen.«
    Nessy hätte das gerne geglaubt, aber es lag ein Zauber auf Margles Schloss, der verhinderte, dass irgendetwas das Schloss so einfach verlassen konnte. Mächtig genug, um einen Dämon aufzuhalten, nahm sie an. Die Dämonin war ihrem Gefängnis noch nicht entkommen. Sie hatte lediglich einen größeren Käfig gefunden.
    »Eine Dämonenherrscherin, die sich frei im Schloss bewegt«, sagte Sir Thedeus. »Ich kann mir nichts Gefährlicheres vorstellen, Mädel.«
    »Was ist denn mit der schwarzen Magierin, die den Tod in den Fingerspitzen trägt?«, fragte Fortune. »Oder eine kleine Infanterie von unbemannten Rüstungen, die durch die Flure streift? Oder ein lärmender Nebel, der Dinge in Stein verwandelt?« Er pochte mit seinem schweren Schwanz auf den Boden. »Ganz zu schweigen von dem Höllenhund und den zahllosen anderen Gräueln, die in den Fluren herumlaufen, an die wir uns alle gewöhnt haben, die aber dennoch ziemlich gefährlich sind.«
    »Puh, in was für ein Chaos sind wir da geraten!«
    Wenn Nessy darüber nachdachte, schien sich in alledem ein allgemeineres Muster abzuzeichnen. Aber sie konnte es nicht klar erkennen, nur ganz vage fühlen. Sie wünschte, mehr von Magie zu verstehen. Dann wäre sie vielleicht in der Lage gewesen, es zusammenzufügen. Oder auch nicht. Vielleicht war ihr Ordnungsbedürfnis so groß, dass sie gewisse Konturen in der Anarchie ausmachte. Vielleicht zerfiel das Schloss um sie herum, und sie konnte nichts tun, um dies zu verhindern.
    Bevor dieser Gedanke zu unangenehm werden konnte, hatte sie sich schon dringenderen Angelegenheiten zugewandt. Und die wichtigste davon war Tiama die Narbige. Sie ging nach der Zauberin sehen, nur um festzustellen, dass das Gästezimmer leer war.
    Melvin In Den Spiegeln, immer noch mit Tiamas Form bekleidet, entschuldigte sich. »Sie hat die ganze Nacht nichts getan. Stand nur da und hat ins Feuer gestarrt. Dann, kurz vor Morgengrauen, stand sie auf und ging. Aber nicht, ohne mich vorher in diesem Spiegelbild, in diesem Spiegel zu bannen.« Er lehnte sich gegen das Glas. »Du musst mich hier rausholen. Es war schlimm genug, die Geisel von tausend Spiegeln zu sein, aber nur ein einziger wird mich in den Wahnsinn treiben.«
    »Ich werde dem auf den Grund gehen«, versprach sie, aber es war nicht das Erste, was sie tun wollte.
    »Das hier wird nur immer schlimmer, Mädel.«
    Im Gegensatz zu Sir Thedeus glaubte Nessy allerdings nicht, dass es noch viel schlimmer werden konnte. Ob Tiama nun allein oder in Begleitung herumstreifte, das machte sie nicht gefährlicher. Sie konnte sich das Schloss immer noch jederzeit nehmen, wenn sie erst herausgefunden hatte, dass Margle tot war. Und es gab keine Möglichkeit, sie aufzuhalten.
    Nessy dachte daran, der Zauberin das Schloss zu überlassen. Es war nicht mehr der Ort, der er einst gewesen war, und Nessy bezweifelte allmählich, dass sie damit

Weitere Kostenlose Bücher