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Zu viele Flueche

Zu viele Flueche

Titel: Zu viele Flueche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Lee Martinez
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Übernatürliches, nur zu gleichen Teilen Logik und Vorbereitetsein. Diese zwei Wesenszüge erlaubten es ihr, für Möglichkeiten vorauszuplanen, bei denen selbst sie überrascht war, wenn sie entdeckte, dass sie darauf vorbereitet war. Es war ihre Gabe: ein Gehirn, das immer entschlüsselte und plante, selbst wenn sie sich dessen nicht bewusst war. Ohne diese Gabe wäre das Schloss schon vor langer Zeit auseinandergefallen.
    Sie hatte nicht erwartet, dass Tiama sich zeigte, aber als die Zauberin es dann doch tat, war Nessy auch nicht überrascht. Und alles war für die Scharade des Amöbenschlamms vorbereitet. Er wartete (mit Echo) in Margles Studierzimmer. Dorthin führte Nessy Tiama quer durch das Schloss. Keine von beiden sprach ein Wort. Tiama war eine so leere Präsenz, dass sie überhaupt kein Geräusch machte. Sie glitt lautlos über den Boden, und falls sie atmete, tat sie das, ohne die Falten ihres Gewandes zum Rascheln zu bringen. Die Luftzüge, die durch die Flure strömten, wagten es ebenfalls nicht, sie zu streicheln. Sie war wie ein Geist. Schlimmer noch, denn alle Geister, die Nessy kannte, waren darauf bedacht, ihre Existenz mit einer klirrenden Kette oder einem Stöhnen oder auch nur durch einen leichten Abfall der Temperatur zu beweisen. Bei Tiama gab es nichts dergleichen.
    Nur das Klackern von Nessys Krallen und die stapfenden Schritte des Nurgax waren zu hören. Doch wann immer Nessy einen Blick zurückwarf, war Tiama da. Sie starrte stur geradeaus, sah Nessy niemals an, so als wüsste sie bereits, wo sie hinmusste, und erlaube Nessy nur, die Führerin zu spielen.
    Aber warum spielte die Zauberin solche Spielchen? Immer wieder dachte Nessy über diese Frage nach. Ihr Verstand war zwar scharf, aber er war nicht besonders geübt, wenn es um Täuschungen ging. Lügen war etwas, was man tat, wenn man keine andere Wahl hatte. Es sei denn, man war dumm. Und Tiama war nicht dumm.
    Nessy blieb vor der Tür des Studierzimmers stehen. »Hier entlang, Madam. Der Meister wartet.«
    »Er wartet.« Tiama sagte es mit einem Grinsen. Möglicherweise.
    Nessy führte die Zauberin hinein und schloss mit einem leisen Klick die Tür hinter ihnen. Das Studierzimmer war aus irgendeinem unerfindlichen Grund einer der dunkelsten Räume im Schloss. Seine wahre Größe war unmöglich abzuschätzen, denn das gedämpfte Kerzenlicht ließ keine Wände erkennen. Nur einen Schreibtisch, einen Stuhl, drei sehr hohe Regale und sonst nichts. Nessy wusste, dass es weitläufig war. Sie hatte Margle mehr als einmal vor sich hinmurmelnd in der Dunkelheit des Raumes verschwinden sehen. Seine Stimme hatte sich jedes Mal lange Zeit immer weiter entfernt, nur um dann wieder lauter zu werden. Normalerweise kam er mit Schriftrollen, magischen Zeptern oder anderen Zauberersachen zurück. Aber einmal war er mit einem zerfetzten Gewand und schwarzem Blut an den Händen wiedergekommen. Was auch immer sich dort in der Dunkelheit befand - man sollte es Nessys Meinung nach besser in Ruhe lassen.
    Der Amöbenschlamm saß hinter dem Schreibtisch. Der Stuhl war so gedreht, dass man nur einen flüchtigen Blick auf Margles Silhouette werfen konnte. In diesem Augenblick, in diesem Dämmerlicht, konnte sie sich sehr einfach vorstellen, es wäre ihr alter Meister, und wenn sie sich schon täuschen ließ, dann funktionierte es bei Tiama vielleicht auch.
    In der Dunkelheit schienen Tiamas Augen leuchtend rot. Sie warfen Lichtbahnen, die durch die Dunkelheit des Studierzimmers schnitten. Und auch wenn sie es sich wahrscheinlich nur einbildete, so roch Nessy die brennenden Schatten.
    Unterwürfig warf sie sich zu Boden. »Meister, Euer Gast ist angekommen.«
    »Ich weiß, Hund. Meinst du, ich bin blind?« Nur Margles Lippen bewegten sich. Die Worte klangen gekünstelt und schroff, als widerstrebe es dem Schlamm, sie auszusprechen. Es war nicht weit von dem echten Tonfall des Originals entfernt.
    »Nein, Herr. Verzeiht mir, Herr.« Nessys Antwort war ein Reflex. Sie musste keine Rolle spielen.
    »Wie kannst du es wagen, mich vor einem Gast zu beleidigen, Hund? Ich hätte dich zu Brei zermahlen und dich den Dungdrachen verfüttern sollen, nur dass das ein viel zu freundliches Schicksal für ein jämmerliches Ding wie dich gewesen wäre.«
    »Ich bitte um Entschuldigung, Herr.«
    »Entschuldigung? Entschuldigt sich die Kakerlake etwa bei dem Riesen, der sie unter seinen Füßen zerquetscht? Entschuldigt sich der Bauer bei der Flutwelle, die sein Dorf

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