Zu viele Morde
Russisch sprach, begriff ich ihre Bedeutung für die Zukunft. Ich ließ ihr den Glauben, sie hätte mich verführt, und ging dann an die Arbeit, sie zu …, ich glaube, man nennt es ›umzudrehen‹. Natürlich hatte Moskau Interesse, besonders, als ich feststellte, wie fähig und intelligent sie war. Die Chance, einen Schläfer in ein riesiges amerikanisches Unternehmen einzuschleusen, war zu gut, um sie sausen zu lassen. Aber Erica begann zu zaudern.«
»Professor, erzählen Sie mir nicht nur von Ericas Verrat, sondern auch von Ihrem eigenen?«
»Was für ein Verrat? Ich habe nie etwas getan«, sagte Lefevre selbstgefällig. »Es gibt nichts am L. S. E., was Moskau interessiert hätte, abgesehen von Personen.« Er hielt plötzlich inne und schaute Carmine verwirrt an. »Tee – Sie sind hier, um eine Tasse Tee zu trinken.«
»Danke, ich brauche keinen Tee. Erzählen Sie mir mehr über Erica.«
»Meine Vorgesetzten in der Partei arrangierten für Erica eine Reise nach Moskau, wo sie die wichtigsten Leute treffen sollte. Es wurde mit einem besonderen Reisepass durchgeführt, den der KGB für sie organisiert hatte. Da der Kalte Krieg gerade angefangen hatte, war Moskau sehr vorsichtig mit Erica, die gegebenenfalls eine lange Zeit würde warten müssen, bis sie aktiviert würde.«
Lefevre stand auf und ging zum Fenster, er starrte in den Garten hinaus, wo auf einem ungepflegten Rasen Müll herumlag – alte Öfen, Bettpfannen, Blechkisten. Die Bewohner waren wahrscheinlich alle Mitglieder der kommunistischen Partei.
»Also ging Erica im Sommer 1948 nach Moskau?«
»Ja.« Seufzend kehrte Lefevre zu seinem Sessel zurück.
»Was ist in Moskau passiert?«
»Die erste Reise, drei Wochen, verlief großartig. Erica kam zurück und war … hin und weg. Sie hatte alle Mitglieder des Zentralkomitees kennengelernt und Josef Stalin die Hand geschüttelt. Ihm ging es damals gesundheitlich nicht so besonders. Dann musste sie zu ihrer weiteren Ausbildung nach Moskau zurück. Moskau wollte absolut sichergehen, was ihre Loyalität betraf. Es wurde ein neunwöchiger Aufenthalt. Erica war eine Musterschülerin und mit Feuereifer dabei.«
Er unterbrach sich wieder und wirkte sehr betrübt. Wäre die Nachricht ihres grausamen Todes nicht gewesen, dachte Carmine, hätte er vergeblich nach diesen Informationen geforscht. Zweifellos hatte der Professor schon Besuch vom FBI und der CIA bekommen.
»An ihrem letzten Abend in Moskau«, fuhr der Professor nach einigem Zögern fort, »wurde Erica vergewaltigt. Von dem, was sie mir erzählte, passierte es nach einem Abendessen mit Besäufnis, an dem Parteimitglieder und KGB-Offiziere aus der zweiten Führungsriege teilnahmen.«
»Es war eine furchtbare Vergewaltigung«, sagte Carmine leise. »Bei der Obduktion zwanzig Jahre später hatte sie immer noch die Narben. Wie hat sie überlebt, Sir?«
»Sie hat sich selbst versorgt und kam wie geplant zurück nach London. Zu mir. Ich habe sie ins Guy’s Hospital geschickt, wo ich einen Freund hatte. Wir haben arrangiert, dass ihre medizinischen Unterlagen im System verlorengingen.London war damals eine vollkommen andere Stadt. Es gab immer noch die Lebensmittelkarten, und es war schwierig, anständige Kleidung zu bekommen – eine sehr fruchtbare Zeit für uns Hochschullehrer. Die vielversprechenden Studenten fielen uns wie reife Pfirsiche in den Schoß.«
»Was war mit Erica? Sie muss aus Moskau sehr verändert wiedergekommen sein«, sagte Carmine.
»Ja, das Feuer war erloschen, eine eisige Entschlossenheit hatte seinen Platz eingenommen. Sie versagte sich allen sexuellen Aktivitäten, bis jemand ihr sagte, Sex sei die beste Waffe einer Frau. Sie wurde in der Kunst der Fellatio unterrichtet. Eine große Summe wurde in ihrem Namen auf einer Bank in Boston eingezahlt, und dann begann ihr Aufstieg. Nach ein paar Briefen habe ich den Kontakt zu ihr verloren.«
»Dann wissen Sie nicht, dass sie zur Geschäftsführerin eine der größten amerikanischen Rüstungsunternehmen wurde?«, fragte Carmine.
»Wirklich?« Hugh Lefevre sah erfreut aus. »Wie wunderbar!«
»Aber sie war keine Spionin für Moskau.«
»Das kann man nicht mit Gewissheit sagen. Nach ihrer Ausbildung hätte sie jeden täuschen können.«
»Erica hat jemanden gedeckt – jemanden, der ihr Handeln lenkte und ihr gesagt hat, was sie tun soll. Sie hat sich nie wie ein Meisterspion verhalten, denn sie war keiner. Sie war nur die Tarnung.«
»Ich hoffe, Sie haben recht, Captain.
Weitere Kostenlose Bücher