Zu viele Morde
nicht versucht, nach L. A. zur Beerdigung von Erica zu fliegen?«, fragte er.
»Nein, war ich nicht«, sagte sie mit Tränen in den Augen. »Niemand wollte mir erzählen, wie sie starb, Captain, außer, dass sie ermordet worden sei.« Offen blickte sie ihm in die Augen. »Ich halte Sie jedoch für einen freundlichen, aber harten Mann und frage Sie: Wie starb sie? War es sehr schlimm?«
»Ja, es war schrecklich. Zuerst wurde sie gefoltert. Man brach ihr Arme und Beine. Dann wurde sie mit einem Seil stranguliert.«
»Sie wurde erhängt?«
»Nein. Einfach stranguliert. Es war wahrscheinlich eine Erlösung.«
»Ich verstehe«, sagte Philomena tonlos. »Das ist sicher eine seltsame Folter, oder? Es war gar kein sexuelles Element im Spiel.«
»Meiner Erfahrung nach war es auch kein Sexualmord. Sie wurde gefoltert, um Informationen preiszugeben. Ist es Ihnen je in den Sinn gekommen, dass Erica in Gefahr schweben könnte?«
»Kein Mord, nein. Aber Vergewaltigung könnte ich verstehen, denn sie hat förmlich dazu eingeladen – so kalt, so sexuell desinteressiert.«
»Wussten Sie, dass Erica in ihrer Jugend von einer Gruppe von Männern vergewaltigt worden ist?«
»Nein, aber es passt perfekt ins Bild.«
»Sie hat es Ihnen nicht anvertraut?«
»Ich hatte es Ihnen doch schon gesagt, Captain. Wir waren nicht gut aufeinander zu sprechen.«
»Kürzlich nicht, aber es gab eine Zeit, da waren Sie es. Es hat keinen Sinn, es abzustreiten, Mrs. Skeps.«
»Ja, es gab eine Zeit, da waren wir enge Freundinnen. Meinetwegen ist sie Desmonds Geliebte geworden – ich habe sie darum gebeten. Das hat natürlich unsere Freundschaft verändert, aber wir sind danach noch lange befreundet gewesen. Hätte ich von der Vergewaltigung gewusst, hätte ich niemals gefragt. Ich war sehr egoistisch, Captain. Wenn Erica ihn sexuell zufriedenstellte, ließ Desmond mich in Ruhe. Es überraschte mich, als sie sagte, sie würden nur Fellatio betreiben, aber das lieben Männer offensichtlich.«
»Warum hat es Sie überrascht?«
»Weil Erica so uninteressiert an Sex war.« Philomena Skeps schlug die Hände zusammen. »Ach, lassen wir dieses Thema doch bitte.«
»Warum waren Sie so gute Freundinnen?«
»Wir waren Seelenverwandte. Wir liebten das Lesen, und wir haben gerne über das diskutiert, was wir gelesen hatten – all das Merkwürdige dieser Welt faszinierte uns. Niemand von uns hatte je eine so gute Freundschaft erfahren. Und als sie endete, war ich am Boden zerstört.«
»Warum endete sie? Und wie?«
»Ich weiß es immer noch nicht. Erica beendete sie aus heiterem Himmel. Im November 1964, Thanksgiving Day. Sie kam hierher, um mit mir, Desmond junior und Tony zu Abend zu essen. Aber sie kam viel zu früh. Ich war in der Küche«, sagtePhilomena Skeps mit trauriger Stimme, »am Tresen und bereitete die Truthahnfüllung vor. Erica kam herein, blieb etwa zwei Meter von mir entfernt stehen und sagte, unsere Freundschaft sei vorbei. Sie habe es satt, mir etwas vorzuspielen. Desmond mache es ihr schwer, sagte sie. Desmond junior würde sie hassen, und auch das hänge ihr zum Halse heraus. Ich war so erstaunt, dass ich sprachlos war, und einfach nur zuhörte. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und ging. Einfach so! Ich habe sie nie wieder richtig gesehen, außer auf Veranstaltungen und in Besprechungen, die wir beide nicht vermeiden konnten.«
»Das muss Sie sehr betrübt haben, Mrs. Skeps.«
»Nein, es war eine Tragödie! Das Leben ist seitdem nicht mehr dasselbe.«
»Wie sind Sie damit klargekommen, dass Ihr Exmann Erica die Kontrolle über das Erbe Ihres Sohnes gegeben hat?«
»Es war niederschmetternd, aber ich war nicht überrascht. Tony hat es jedoch noch stärker tangiert. Er konnte nichts im Testament finden, das es ihm ermöglicht hätte, es juristisch anzufechten. Nachdem Erica jetzt tot ist, stehen die Dinge natürlich anders.«
»Warum hat Ihr Sohn Erica so gehasst?«
Sie verzog das Gesicht. »Eifersucht natürlich. Er spürte, dass Erica mir wichtiger war als er, und auf eine gewisse Weise hatte er recht. Als unsere Freundschaft endete, jubelte mein Sohn. Was mich daran erinnert, dass ich aufhören muss, ihn Desmond ›junior‹ zu nennen. Er ist nur noch Desmond.«
»Mutter?«, hörte man eine Stimme sagen.
Wenn man vom Teufel sprach!
Seit Desmond in die Pubertät gekommen war, hatte er seinen ersten großen Wachstumsschub gehabt und war nun größer als seine Mutter. Er trug nur abgeschnittene Jeans und
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