Zu zweit tut das Herz nur halb so weh
das eine, das ich seit jeher führte, in dem ich mir jetzt jedoch fremd
vorkam, und das andere, das sich richtig anfühlte. Ich fieberte auf die Momente
hin, in denen ich mich in diese Parallelwelt begeben konnte, indem ich Roberts
Briefe las oder mich mit ihm traf.
Bei einem Besuch im Spätherbst erwähnte ich Robert gegenüber, ich
bete jede Nacht, dass wir irgendwie zusammen sein könnten â auf eine Weise, die
niemanden gefährdete und für niemanden Probleme brachte. Obwohl ich wusste,
dass das unmöglich war, schmerzte es, als er daraufhin nur ein spöttisches,
wenn auch resigniertes Schnauben ausstieÃ.
Ich sprang von der Bank auf, über die er seine Jacke gebreitet
hatte, damit mein Kleid nicht nass wurde, und stapfte wütend in Richtung Wald
davon. Ich wollte allein sein, aber Robert kam mir nach, während er damit
kämpfte, in seine feuchte Jacke zu schlüpfen.
Als er mich schlieÃlich einholte, packte er meinen Arm und zog mich
so fest an seine Brust, dass ich sein Herz pochen hörte. Ich atmete so lange
tief durch, bis unsere Herzen fast im gleichen Rhythmus schlugen.
»Isabelle, ich kann dir nicht mehr versprechen als den nächsten
Brief oder den nächsten Besuch. Du hast von Anfang an gewusst, dass ich dir nur
die Gegenwart bieten kann, den Augenblick, der uns vergönnt ist.«
Bei jedem Treffen drückte er sich noch gewählter aus. Das machte das
College. Ich fragte mich, wie jemand ihn unpassend finden konnte. Die
Hautfarbe, seine so schön wie der schwarze Saphir im Ehering meiner Mutter, war
das Einzige, was zwischen uns stand. Eine zum Himmel schreiende
Ungerechtigkeit.
Doch jener Nachmittag brachte die Entscheidung für mich. Ich
begriff, dass unsere Beziehung â geheime Treffen hinter dem Rücken unserer
Eltern und gestohlene Küsse â, nicht mehr lange so weitergehen würde, ohne dass
wir beide den Verstand verloren.
Robert machte groÃe Augen, als ich ihn mit folgendem Schwur verlieÃ:
Solange wir nicht offen zusammen sein konnten, würde ich ihn nicht wiedersehen.
Ich bereute die Entscheidung nicht, denn anschlieÃend war ich noch
entschlossener, eine Lösung für uns zu finden. Wochenlang malte ich mir alle
möglichen Szenarien aus, dachte sogar darüber nach, meine Haut zu färben und
einen anderen Namen anzunehmen. Lächerlich? Mag sein, aber ich war verzweifelt.
Eines Tages hielt jemand an meiner Schule einen Gastvortrag. Die
Lehrer fürchteten, dass es den Jungen an beruflichem Ehrgeiz mangelte und sie
auf die schiefe Bahn geraten könnten. Deshalb wurden Gastredner aus der
Berufswelt eingeladen. Von uns Mädchen erwartete man, dass wir stumm lauschten
oder lernten, während unsere männlichen Klassenkameraden Fragen stellten.
Theoretisch eine gute Idee, doch ein Anwalt aus Cincinnati â ein Onkel oder
Cousin unserer Lehrerin â sah sich mit einer Mauer des Schweigens konfrontiert.
Ich hob die Hand, was meine Lehrerin mit einem Stirnrunzeln
quittierte.
»Ja, meine Liebe? Sie möchten sicher erfahren, wie Sie einen unserer
klugen jungen Anwälte kennenlernen können, nicht wahr?«
Ich ignorierte das Kichern meiner Freundinnen und den wütenden Blick
meiner Lehrerin.
»Wie wird man Anwalt, Mr Bird? Ich weiÃ, dass man dazu das College
besuchen muss, aber was sollte man für Ihren Beruf wissen?«
»Nun, Miss �«
»McAllister. Isabelle McAllister.«
»Miss McAllister, wenn junge Männer sich nach dem Schulabschluss an
der juristischen Fakultät der Universität einschreiben, müssen sie mehr lesen
und lernen als jemals zuvor in ihrem Leben.«
»Was lesen und lernen, Sir?«
»Gesetzestexte.« Das klang, als spräche er von der Bibel.
»Gesetzestexte?«, wiederholte ich.
»Kind, Sie haben keine Ahnung, wie viele Bände sich in den
Bibliotheken der juristischen Fakultäten befinden. Ausgebildete Beobachter
zeichnen gewissenhaft die Einzelheiten sämtlicher Verhandlungen auf â die
Fakten, die Probleme, die Präzedenzfälle und die Urteile.«
»Und um zu wissen, wie das Gesetz beschaffen ist, muss man jedes
einzelne dieser Bücher lesen?«
Ich hatte das Interesse des Anwalts geweckt. Vermutlich hatte ihm
nie zuvor ein Mädchen solche Fragen gestellt.
»Die Grundlage ist die amerikanische Verfassung, die in allen
Bundesstaaten und Städten Gültigkeit besitzt. Was nicht
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