Zuckerblut
wissen.
»Vorbeigekommen bin ich hier natürlich schon mal und dass in dem Haus da ein pensionierter Richter wohnt, habe ich auch gewusst, aber frag mich bitte nicht, woher. Wahrscheinlich hatte ich irgendwann vor Jahrzehnten mal mit ihm zu tun. Ich hätte mich aber nicht erinnern können, wie er aussieht und außerdem – bei unseren vielen Gerichten in Karlsruhe, Verfassungsgericht, Bundesgerichtshof und ... und ... und ..., da wimmelt es hier doch überall von Juristen.«
»Ja, unsere Stadt heißt nicht umsonst die ›Residenz des Rechts‹«, nickte sein Kollege.
Beide betrachteten das niedrige, von einer gut zwei Meter hohen Hainbuchenhecke umgrenzte Anwesen.
»Noch kein neuer Name am Tor, also wird das Haus wohl leer stehen«, konstatierte Wellmann und fügte nach einem Blick auf das Innere des Grundstücks hinzu: »Aber gepflegt sieht’s trotzdem aus. Wie lange ist das jetzt her, seit der Richter ...?«
»Genau hab ich das nicht mehr im Kopf, vielleicht zwei oder drei Monate. In so kurzer Zeit wird der liebe Neffe das Ganze hier auch noch kaum zu Geld gemacht haben.«
»Ja, ja, die Nachlassgerichte. Wenn ich nur dran denke, wie lange es bei uns gedauert hat, bis die ganzen Erb-Formalitäten über die Bühne waren.«
Lindt schaute fragend.
»Na, vor drei Jahren, als meine Großtante mit vierundneunzig starb und uns sagenhafte zwölfhundertachtundfünfzig Mark vermacht hat.«
»Bei dem Herrn Anwalt muss es wohl ein wenig mehr gewesen sein. Zu einem neuen Auto hat es jedenfalls schon gereicht.« Jetzt war es Wellmann, der erstaunt war.
»Ja, Paul, das weiß ich von meiner Frau. Hat sie bei ihren drei Anwältinnen mitbekommen, da wo sie arbeitet. Die können den jungen Baumbach jedenfalls nicht leiden. Muss wohl ein rechtes Ekel sein.«
»Der wird ja hoffentlich nicht gerade daherfahren, wenn wir das Haus ein wenig unter die Lupe nehmen.«
»Lass uns zur Vorsicht trotzdem erst klingeln«, meinte Lindt. Er öffnete die schwere schmiedeeiserne, schwarz lackierte Gartenpforte mit den verschnörkelten Initialen ›AB‹ und ging zum Haus. Eine massive Eichentüre, deren Füllung in Form einer Sonne mit ringsum abgehenden Strahlen gearbeitet war, machte einen freundlichen Eindruck und drückte gleichzeitig eine vornehme Solidität aus. Neben der im Lauf der Jahre goldbraun gewordenen Tür ragte ein einfacher nachgedunkelter Messingknopf aus dem Mauerwerk. Der Kommissar drückte darauf und ein deutlich hörbarer Gong ertönte aus dem Innern des Hauses. Als sich nichts rührte, versuchte er es nochmals, aber auch nach längerem Warten öffnete ihnen niemand.
»Lass uns mal nach hinten gehen, Oskar. Vielleicht können wir durch die Fenster etwas erkennen.«
Auf der Vorderseite des Hauses verhinderten dichte Gardinen jeglichen Einblick durch die Fenster. Zudem war alles mit schmiedeeisernen Gittern passend zum Stil des Gartentores gesichert.
Wellmann ging nach links über den Rasen, drehte aber gleich wieder um. »Hier kommen wir nicht durch. Die Garage ist bis zur Grundstücksgrenze gebaut.«
»Und da drüben geht eine hohe Mauer weiter bis zum Zaun«, antwortete ihm sein Chef, der auf der anderen Seite versucht hatte, in den Garten zu gelangen. »Die Tür darin ist fest verschlossen.«
Etwas ratlos schauten sie sich an. »Ob wir vielleicht vom Nachbargrundstück aus ...?«
Ruckartig drehte Lindt seinen Kopf und starrte zur Straße, wo vor dem Gartentor gerade ein silbergrauer offener Wagen angehalten hatte.
»Ein Cabrio, Mist, das wird doch nicht ...«, zischte er, aber der Fahrer war schon ausgestiegen und hatte die beiden Beamten entdeckt.
Mit einem professionellen Lächeln steuerte der Mann im eleganten Maßanzug auf Lindt und Wellmann zu. »Tut mir Leid, ich muss mich wohl etwas verspätet haben, Sie wissen ja, der Verkehr. Baumbach, wir haben doch sicher miteinander telefoniert ...«
Etwas unschlüssig streckte er Wellmann seine makellos manikürte Hand entgegen. »Oder haben wir ...?«, wandte er sich gleich an Lindt.
Dem wurde blitzartig klar, dass sie für potentielle Hauskäufer gehalten wurden. Obwohl er in solchen Situationen gerne mal ein kleines Versteckspiel betrieb, ohne seine wahre Identität gleich preiszugeben, war ihm das in diesem Fall viel zu heikel. Dieser Rechtsanwalt würde sich sicherlich sofort an höchster Stelle beschweren. Kräftig drückte er die Hand seines Gegenübers und sah ihm dabei fest in die Augen.
»Falls Sie mit Interessenten für das Haus hier verabredet
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