Zuckerblut
gebracht hast. Die können allerdings nicht so schnell in die Freiheit.«
»Aber oje«, sie setzte eine übertrieben besorgte Miene auf und zeigte nach vorne, »dort kommt der neue Michaelstunnel. Da müssen wir durch. Wirst du das schaffen? Nicht, dass da drin der nächste klaustrophobische Anfall kommt, mein Lieber!«
»Keine Sorge«, Oskar tastete nach ihrer Hand, »alles überwunden.«
Schnell passierten sie die mondäne Kurstadt, durchquerten Lichtental und schraubten sich in ihrem betagten dunkelblauen Diesel Serpentine um Serpentine höher in den Nordschwarzwald hinauf.
Am geheimnisvoll dunkelgrün glänzenden Mummelsee legten sie noch eine kleine Pause ein und gingen Arm in Arm einmal rund herum. Sie waren fast allein auf dem schattigen Spazierweg. »Sonntags wird das hier zu einem richtigen ›Rummelsee‹, alles voller Tagestouristen«, meinte Lindt und beide empfanden die kühle frische Luft als sehr angenehm im Gegensatz zur oft drückenden Schwüle in den Häuserschluchten der Großstadt Karlsruhe.
Eine knappe Viertelstunde später erreichten sie ihr Ziel und bezogen eines der hellen freundlichen Zimmer des nach einem Großbrand vor einigen Jahren wieder neu aufgebauten ›Schliffkopfhotels‹.
»Tolle Aussicht«, schwärmte Carla auf dem Balkon, doch ihr Oskar hatte schon vorher am Restauranteingang einen Blick auf die Speisekarte geworfen.
»Die Aussicht auf einen leckeren Wildhasenrücken in Preiselbeersahne ist aber auch nicht schlecht.«
Mehrere Male wachte Carla Lindt in der Nacht auf. Ihr Mann wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere. Einmal schreckte sie sogar hoch, weil er undeutliche Laute von sich gab und die Bettdecke umklammerte, wie wenn er jemanden festhalten wollte.
Beunruhigend war das für sie allerdings nicht, denn immer, wenn der Kommissar mit seinen Ermittlungen nicht vorwärts kam, kämpfte er sich auf diese Weise durch den Schlaf.
Als er gegen halb sechs Uhr aufwachte, schlich er im Morgenmantel ganz leise auf den Balkon. Er zog die Tür hinter sich zu und genoss bei der ersten Pfeife, wie weit im Osten, wo er die Umrisse der Hochhäuser von Freudenstadt erkennen konnte, die Sonne langsam aufging.
Er wunderte sich selbst, dass er es fertig brachte, längere Zeit nicht an seinen aktuellen Fall zu denken und nur so dazusitzen und sich auf das Ziehen an der Pfeife zu konzentrieren.
Nach einigen erfrischenden Runden im hoteleigenen Schwimmbad schmiedeten die beiden beim Frühstück Pläne für den Tag.
Sie entschieden sich für eine Wanderung in der Nähe und zogen ihre stabilen Schuhe an. Die Tour vom Ruhestein zum Wildsee kannten sie noch von früher. Sonntags waren sie manchmal mit den Kindern hierher gefahren und auf dem schmalen steinigen Weg von der Höhe durch den unberührten Bannwald zum See hinunter geklettert.
An den Anblick der vielen, in den letzten Jahren durch Borkenkäferbefall abgestorbenen Bäume, mussten sie sich erst gewöhnen, aber nach und nach zog sie die Ästhetik der silbergrau, ohne grüne Nadeln und ohne Rinde dastehenden Riesen in ihren Bann.
»Bei uns im Hardtwald räumen die Förster immer gleich auf«, meinte Carla schließlich, »da sieht man gar keine solchen toten Bäume.«
»Genau so«, fuhr es ihrem Mann spontan heraus, »wie auch der junge Baumbach seinen toten Onkel gleich aufgeräumt hat, indem er ihn einäschern ließ.«
»Also bitte, Oskar, jetzt sind wir wohl weit genug entfernt von Karlsruhe, von deinem Mordfall und von diesem unangenehmen Winkeladvokat. Wenigstens bis Montag will ich nichts mehr davon hören!«
»Ist ja gut, entschuldige bitte, aber anscheinend braucht das Abschalten eben seine Zeit.«
»Schau dir lieber die Bäume etwas genauer an«, versuchte sie ihn abzulenken. »Siehst du die vielen Löcher in den Stämmen?«
»Kommen sicherlich von irgendwelchen Käfern, die im toten Holz wohnen.«
Ein großer schwarzer Vogel mit roten Federn auf dem Kopf flog vor ihnen davon.
Carla Lindt war begeistert: »Da Oskar, ein Schwarzspecht, ganz selten, der war schon mal Vogel des Jahres, der holt diese Insekten wieder raus und lebt davon.«
Verwundert schaute der Kommissar seine Frau an. »Woher kennst du denn die Vögel des Jahres?«
»Na, eine meiner Chefinnen in der Anwaltskanzlei, die ist ehrenamtlich stark im Naturschutz tätig. Ihre ganze Freizeit verbringt sie irgendwo draußen und unsere Büros hängen voller Naturfotos. Da bekomme ich zwangsläufig einiges mit.«
»Erwischt«, lachte er,
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