Zuckerblut
meinst du wohl, nein, nein, ich hatte gar keine Krawatte mitgenommen, aber wenn wir schon beim Thema sind: Was macht denn die Spielleidenschaft unseres Herrn Rechtsanwalts?«
»Ja, in der Spielbank hättest du den nicht treffen können«, antwortete Paul Wellmann. »Wir haben mal durch unsere Baden-Badener Kollegen auf Verdacht nachfragen lassen. Die haben dann tatsächlich die Auskunft bekommen, dass sich ein Herr Rechtsanwalt Baumbach aus Karlsruhe vor mehr als zwei Jahren freiwillig hat sperren lassen.«
Lindt pfiff durch die Zähne: »Freiwillig?«
»Ganz freiwillig, aber zuvor war er dort ein häufiger Gast, intern nur ›Zocker-Baumbach‹ genannt.«
»Was ist denn das für ein Name? Der passt ja sicherlich nicht zur vornehmen Spielbank-Atmosphäre in der Kurstadt?«
Wellmann berichtete kurz über die Recherchen der Kollegen, die von den Croupiers nicht viel Schmeichelhaftes über die recht rüden Umgangsformen des Anwalts erfahren hatten. Vor allem bei größeren Verlusten, die wohl im Lauf der Zeit immer häufiger wurden, hatte er damals recht heftige Wutanfälle bekommen und musste einige Male durch das Sicherheitspersonal von den Roulette-Tischen entfernt werden.
»Aber trotzdem hat er sich freiwillig sperren lassen?«, hakte Lindt nochmals nach.
»Da diskutieren wir gerade zwei Möglichkeiten, Chef«, warf Jan Sternberg schnell ein. »Entweder kam er damit der Blamage zuvor, von der Spielbank auf die Schwarze Liste gesetzt zu werden oder ...«
»Oder was?«, fragte der Kommissar gespannt.
»Oder sein reicher Onkel bemerkte den Grund, wieso er kurz vor dem Bankrott war und hat kein Geld mehr rausgerückt.«
»Ach so, ja, ich verstehe, was ihr meint. Geld vom Alten gab’s nur unter der Bedingung, dass sich der Neffe sperren ließ.«
»Genau und deswegen hält er sich jetzt bloß noch in Automaten-Spielhallen auf. Dort sind die Verluste nicht so hoch.«
Langsam war Lindt wieder mit dem Fall vertraut. Er stellte sich ans Fenster und stopfte seine größte Pfeife.
»Habt ihr auch die Spielbank im Elsass überprüft? Heißt der Ort nicht Bad Niederbronn?«
»Mussten wir gar nicht, denn über die Grenze kann sich der feine Herr Anwalt keinesfalls trauen. Unsere französischen Kollegen würden ihn sofort in Arrest nehmen. Da wartet irgendeine komplizierte Geldforderung von früher auf ihn, die aber in Deutschland nicht eingetrieben werden kann. Angeblich aus Grundstücksspekulationen, die vor Jahren in die Hose gingen ...«
»Das wird ja immer besser mit dem Kerl. Habt ihr noch was über ihn herausgefunden? Vielleicht etwas, um ihn mal achtundvierzig Stunden hier festzusetzen?«
Paul Wellmann machte eine bekümmerte Miene: »Leider nichts Passendes, eher das Gegenteil davon.«
»Wie, etwas Entlastendes?«, schnaubte Lindt und blies eine dicke Rauchwolke an die Decke.
Wellmann nickte: »Der alte Baumbach wurde doch eingeäschert und in dem Zusammenhang ist mir eingefallen, dass dabei immer eine zweite Leichenschau vorgeschrieben ist.«
»Habt ihr den Arzt aufgetrieben?«
Wellmann nickte.
»Und, mit welchem Ergebnis?«
»Auch der hat nichts Außergewöhnliches feststellen können. Natürliche Todesursache steht in beiden Totenscheinen.«
Lindt unterdrückte einen Kraftausdruck und zuckte nur mit den Schultern. »Wäre ja auch zu schön gewesen ...«
»Andererseits, Chef«, meldete sich Jan Sternberg wieder. »Ganz sollten wir diese Spur noch nicht aufgeben, denn falls der alte Richter erstickt worden ist, zum Beispiel mit einem Kissen – das hätte nur bei einer richtigen Obduktion entdeckt werden können.«
»Richtig Jan, du machst mir wieder Mut«, nickte Lindt anerkennend. »Bei einer normalen Leichenschau ganz leicht zu übersehen.«
»Von den fünf anderen Todesfällen, die zu den Bluts-tropfen auf dem Stadtplan passen, ist übrigens auch keiner obduziert worden«, warf Paul Wellmann ein.
»Macht nur so weiter, dann ist meine ganze Erholung gleich wieder dahin«, schüttelte Lindt mit wenig glücklichem Gesichtsausdruck seinen Kopf. »Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen. Es geht einfach nicht vorwärts. Ob der Richter und die alten Leute gewaltsam gestorben sind, wissen wir nicht, alles nur Spekulation, und ob es einen Zusammenhang mit dem Mord an der Schwester Andrea gibt, ist auch eher fraglich. Vielleicht sollten wir doch in ihrem Umfeld weiter ermitteln. Noch mehr Arbeitskolleginnen befragen zum Beispiel ...«
Paul Wellmann zuckte zusammen: »Ach, gut, dass du das
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