Zuckerblut
»jetzt bist du es, die von der Arbeit spricht. Lass uns lieber vollends zum See gehen und die Beine im Wasser abkühlen.«
Sie verbrachten eine volle Stunde am moorbraunen Wasser, sprachen dabei nur wenig und merkten nach und nach, wie der Alltag von ihnen abfiel und sie abschalten konnten.
Nach einer Rast an der ›Darmstädter Hütte‹ und eindrucksvollen Ausblicken ins Rheintal kehrten sie am frühen Nachmittag wieder zum Hotel zurück, um sich dort im Wellnessbereich für den Rest des Tages verwöhnen zu lassen.
Genauso erholsam, leider nur viel zu schnell verlief auch der Sonntag. Schwimmbad, Wellness und eine kleine Wanderung, wobei sie fasziniert die leichten kleinen Hinterwälder Rinder betrachteten, die als vierbeinige Landschaftspfleger auf den Schwarzwaldhöhen beim Hotel weideten.
Lindt erinnerte sich, dass er von diesen sympathischen Tieren auch schon gelesen hatte.
»Wie«, wollte seine Frau wissen, »denkst du schon wieder an deine Arbeit? Gab es auch schon Kriminalberichte über diese Rindviecher?«
»Ach, wo denkst du denn hin, Carla, nichts Kriminelles, im Gegenteil, etwas sehr Positives. Im Hotel habe ich es gesehen.«
Sie schaute ihn fragend an.
»Na, auf der Speisekarte natürlich, als saftiges Steak!«
Beim Abendessen bestellte der Kommissar umgehend eines dieser Menüs mit regionalen Zutaten. Carla war eher für Fisch oder Geflügel zu begeistern. Dunkles Fleisch und möglicherweise noch blutig, nein, das war nicht nach ihrem Geschmack. Heute entschied sie sich für Steinpilze mit hausgemachten schmalen Bandnudeln.
Richtig entspannt genossen sie ihr Abendessen und freuten sich über das gelungene Wochenende, als der Kommissar plötzlich aufhorchte. Von irgendwo her hatte er eine Stimme vernommen, die ihm bekannt vorkam. Er hörte auf zu kauen, um besser hören zu können.
»Was hast du denn?«, fragte Carla, der die plötzliche Anspannung in seinem Gesicht nicht entgangen war. »Denkst du etwa schon wieder ...?«
Lindt legte schnell den Finger auf seine Lippen. »Psst!«, und neigte seinen Kopf leicht zurück. Durch einen mit wildem Wein berankten Raumteiler drangen Gesprächsfetzen zu ihnen herüber, allerdings konnten sie nicht sehen, wer an den Tischen auf der anderen Seite des Ganges saß.
Langsam weiteressend versuchte der Kommissar – und als solcher fühlte er sich instinktiv wieder – der Unterhaltung zu folgen.
Zwei Personen, ein Mann und eine Frau.
Aussprache und Tonfall der männlichen Stimme ließen ihn rätseln, wo er diesen Klang schon einmal gehört hatte.
Die Frau sprach recht leise, aber ab und zu meinte Lindt, den Hauch eines osteuropäischen Akzents herauszuhören.
Es schien so, als würden die beiden einen erfolgreichen Geschäftsabschluss feiern.
»... nichts Besonderes, so wird das oft gemacht, aufbauen und dann zu einem guten Preis verkaufen, da gibt es viele Beispiele ...«
»...aber meinst du wirklich, dass unsere Firma so viel wert ist?«
Ein leicht zweifelnder Unterton lag in der Stimme der Frau.
»... wenn man die Statistik und die Alterspyramide anschaut ... auf jeden Fall eine zukunftsträchtige Branche ...«
»... das müssen die drei Käufer ja glauben, sonst hätten sie uns nicht so viel Geld bezahlt ...«
»... darfst nicht den Kundenstamm, die erfahrenen Mitarbeiter und unseren guten Ruf vergessen ...«
»Ja schon, aber unsere Bekanntheit haben wir ja auch meiner Tätigkeit zu verdanken und außerdem, wenn die wüssten ...«
»Ach was«, die Stimmlage des Mannes wurde resoluter, »das konnte niemand merken, völlig unauffällig und nur der Natur etwas nachgeholfen ...«
Lindt zuckte zusammen. ›Was sollte diese Bemerkung bedeuten? Wobei wurde hier nachgeholfen?‹
Die Unterhaltung der beiden Unsichtbaren am Nebentisch verstummte für einige Zeit und der Kommissar überlegte krampfhaft, woher er die Stimme des Mannes kannte. Hatte er sich schon einmal mit ihm unterhalten, vielleicht bei einer Vernehmung?
Kurz dachte er darüber nach, unauffällig zur Toilette zu gehen, um dabei einen Blick auf das Paar zu erhaschen. Die Gefahr, erkannt zu werden, war ihm dann aber doch zu groß, denn er wurde das Gefühl nicht los, dass bei den beiden etwas faul war.
Er entschied sich schließlich dafür, einfach weiter zuzuhören. Irgendwann würde er bestimmt draufkommen, wem diese Stimme gehörte.
Carla Lindt missfiel das gespannte Horchen ihres Mannes. Sie wollte gerade etwas Entsprechendes sagen, da kam er ihr zuvor – »Lass
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