Zuckerblut
Ich habe viel zu tun!« Baumbachs Miene verfinsterte sich zunehmend und zwei große senkrechte Zornesfalten bildeten sich über seiner Nasenwurzel.
»Wir würden uns gerne auf dem Präsidium etwas eingehender mit Ihnen unterhalten.«
»Und worüber bitte?«, stieß der Anwalt nun ganz ungehalten hervor.
Lindt dagegen blieb völlig ruhig: »Das Ableben Ihres werten Herrn Onkels bedarf noch einiger Aufklärung.«
»Wenn ich mich weigere, mitzukommen?« Baumbachs Gesichtsausdruck entgleiste wieder für einen kurzen Moment und verriet, dass er genau wusste, was auf ihn zukam.
»Das würden wir im Moment leider nicht akzeptieren«, verkündete Paul Wellmann und ließ seine Handschellen gerade so weit aus der Jackentasche hervorschauen, dass Baumbach sie bemerken musste.
»Sie dürfen Ihren Kaffee aber gerne in Ruhe austrinken, wir haben wirklich genügend Zeit«, erklärte Lindt betont liebenswürdig und setzte sich, um eine Pfeife zu stopfen.
Die Fahrt ins Karlsruher Polizeipräsidium verlief zwar schweigend, aber auch ohne Zwischenfälle. Es schien so, als wolle jeder sich eine Strategie für die kommenden Stunden zurechtlegen. Hauptkommissar Lindt machte sich intensive Gedanken, wie der aalglatte Jurist am besten zu packen wäre und der Anwalt überlegte, wie er der Polizei möglichst schnell wieder entrinnen, aber dennoch alle Verdachtsmomente entkräften konnte.
Die zwei Kriminalisten strebten mit Baumbach direkt den fensterlosen Verhörraum an, um ihn dort bei mitlaufendem Tonbandgerät zu befragen. Staatsanwalt Conradi war informiert worden und beobachtete die Geschehnisse durch die einseitig verspiegelte Glasscheibe an der Stirnseite des Raumes.
Zuerst wurde der Rechtsanwalt gebeten, ohne dass man ihm näher erklärte warum, einen halbseitigen Text von Hand abzuschreiben. Das Blatt sollte sofort nach Stuttgart ins Landeskriminalamt gefaxt werden, um einen Vergleich mit der gefälschten Unterschrift auf der Verfügung zur Feuerbestattung des alten Richters durchführen zu können.
Baumbach hatte sich dafür entschieden, alles mitzumachen, um bloß kein Missfallen zu erregen. Schnell wieder entlassen würde er nur, wenn es ihm gelang, sich voll kooperativ zu zeigen und sonst den absolut Ahnungslosen und Unschuldigen zu spielen. Sein aufbrausendes Verhalten im Straßencafé ärgerte ihn im Nachhinein sehr und er nahm sich vor, nicht wieder in diesen Ton zu verfallen.
Selbst als man ihn nach dem Schrifttest vertröstete, es würde bald weitergehen und er dennoch über eine Stunde allein mit einer Plastikflasche voll Mineralwasser im Verhörzimmer warten musste ließ, protestierte er nicht.
»Etwas schmoren lassen kann nicht schaden«, begründete Lindt diese Wartezeit gegenüber dem Staatsanwalt, dem ›Kurzen‹, zu dem er sich hinter die Spiegelscheibe gesetzt hatte. »Außerdem soll das Ergebnis der Schriftanalyse vom LKA bald eintreffen. Falls die gefälschte Unterschrift tatsächlich von ihm da stammt, wäre das noch ein weiteres Indiz.«
Der ›Kurze‹ hatte Bedenken. Zu gerne hätte er diesem windigen Anwalt eines ausgewischt, aber er war immer noch der Meinung, die bisherigen Fakten würden einen Haftbefehl nicht rechtfertigen.
»Da macht kein Untersuchungsrichter mit«, wandte er sich an den Kommissar. »Alles noch zu dünn und sehen Sie nur ...«, er zeigte durch das Glas auf den seelenruhig dasitzenden Baumbach, »... das steht ihm doch ins Gesicht geschrieben. Der weiß genau, wie die Beweislage ist.«
»Ach was«, wischte Lindt die Bedenken weg. »Als Profizocker fällt es dem nicht schwer, ein richtiges Pokerface aufzusetzen. Und außerdem, Herr Conradi, Sie finden doch bestimmt einen Richter, den er in einem Prozess mal so richtig geärgert hat. Ich bin sicher, dass es da einige gibt, die diesen Winkeladvokaten dort mit Hochgenuss eine Weile festsetzen würden.«
Jan Sternberg hatte die Schriftprobe in hoher Auflösung an die Spezialisten nach Stuttgart gefaxt und gleich anschließend noch eingescannt und als E-Mail verschickt.
Das Ergebnis sollte binnen einer Stunde eintreffen.
Unter Aufsicht eines uniformierten Polizeibeamten wurde Baumbach zurückgelassen und die beiden Kommissare samt Staatsanwalt stärkten sich erst einmal in der Kantine für die bevorstehende Schlacht.
Erleichterung machte sich breit, als nach der zugesagten Bearbeitungszeit tatsächlich das Ergebnis vom LKA eintraf und die Vermutung der Karlsruhe Kriminalisten bestätigte.
Ohne langes Herumreden
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