Zuckerblut
Kroatien glaube ich, da, wo seine Frau die Kinderheime verwaltet. Haben Sie doch bestimmt schon gehört: ›Kindernothilfe‹ oder so.«
»Ach ja, vielen Dank«, nickten beide Kommissare fast synchron und beeilten sich zu gehen, um einem weiteren schnellen Wortschwall zu entkommen.
Nur unter der Tür machte Lindt nochmals kehrt, um zu erfahren, ob das Ehepaar Weinbrecht schon ganz abgereist wäre.
»Sie ist bereits gestern geflogen, aber er müsste eigentlich noch in der Stadt sein, um die letzten Formalitäten abzuwickeln.«
»Haben Sie vielleicht seine Handynummer?«
»Leider nicht, aber was möchten Sie denn von ihm, vielleicht könnten wir ...?«
Fluchtartig strebten die Kripo-Beamten zu ihrem Dienstwagen, um über Funk schnell das Autokennzeichen von Weinbrecht zu erfragen.
»Fahndung?« Die beiden blickten sich an und nickten fast gleichzeitig: »Ja, Fahndung!«
Lindt gab die entsprechenden Anweisungen, betonte aber, dass nach dem Mercedes-Geländewagen nur unauffällig und ohne großes Aufsehen gesucht werden dürfte. Der Fahrer werde lediglich als wichtiger Zeuge gesucht.
Das Handy des Kommissars meldete sich und zeigte die Büronummer von Jan Sternberg an.
»Die Stuttgarter haben gerade angerufen«, berichtete er ganz erregt. »Wegen der Analyse der Schriftstücke.«
Lindt erinnerte sich mit Unmut gleich wieder an die ernüchternde Abfertigung im LKA vom vergangenen Freitag, als er den juristischen Fachaufsatz des alten Richters Baumbach und dessen Einäscherungsverfügung dort abgegeben hatte, um beide vergleichen zu lassen.
»Und – die Ergebnisse?«, antwortete er in einem etwas harschen Ton, der Sternberg zum Stottern brachte.
»Ja, also ... die ... die ...«
»Was denn jetzt? Ach, Entschuldigung Jan, mir ist nur gerade wieder eingefallen, wie unpersönlich die mich dort behandelt haben, aber das habe ich euch ja noch gar nicht erzählt.«
Sternberg war erleichtert, dass sich der ungewöhnliche Tonfall nicht auf ihn und seine Arbeit bezog und gab schnell die Analyseergebnisse durch: »Die Tinte, mit der die Verfügung zur Feuerbestattung unterschrieben war, Fabrikat ›Lamy‹ übrigens, muss älter als zehn Jahre sein. Damals hat sich die Rezeptur geändert. Das haben die Spezialisten herausgefunden. Auch das Papier ist schon mindestens genauso alt. Beide Dokumente sind auf demselben Papier getippt worden – auch mit derselben Schreibmaschine. Alles passt. Wann genau die Unterschrift auf das Papier kam, konnte aber leider nicht näher angegeben werden.«
»Schade, da hatte ich mir etwas Hoffnung gemacht«, antwortete Lindt ernüchtert, als sein Mitarbeiter kurz innehielt. Kein Anhaltspunkt für eine Fälschung – und diesen windigen Rechtsanwalt hätte er doch zu gerne einmal auf der Anklagebank gesehen.
»Das ist aber noch nicht alles, Chef. Das Beste kommt jetzt«, setzte Sternberg seinen Bericht fort und der Kommissar horchte wieder auf. »Das Alter der Unterschrift ist zwar fraglich, aber der Schriftzug selbst – eine einwandfreie Fälschung! Die vom LKA sind sich da ganz sicher!«
Paul Wellmann hatte über den Lautsprecher der Freisprechanlage mitgehört und war genauso verblüfft wie sein Kollege.
Beide schauten sich nur sprachlos an. Jetzt gab es plötzlich zwei Verdächtige. Einer fälscht die Unterschrift und lässt seinen Onkel schnell einäschern, um eine mögliche Obduktion zu verhindern und der andere ist gerade im Begriff, sich nach Südosteuropa abzusetzen.
»Hallo Chef, sind Sie noch dran?« Jan Sternbergs Stimme ertönte.
»Natürlich, wir haben alles genau mitgehört. Jetzt kommt ja plötzlich Bewegung in die Angelegenheit.«
Er dachte kurz nach.
»Paul und ich statten dem Herrn Rechtsanwalt nun mal schnell einen Besuch ab und dann wollen wir hoffen, dass die Schutzpolizei auch den guten Weinbrecht bald findet.«
»Nicht mehr nötig«, rief Paul Wellmann dazwischen, »da kommt er schon.«
Er zeigte auf den dunkelgrauen Mercedes M-Klasse, der eben in den Parkplatz des Pflegedienstes einbog.
»Na also, dann wollen wir mal«, meinte Lindt und öffnete die Fahrertür, um auszusteigen.
Diese Bewegung musste Weinbrecht erfasst und die beiden Kommissare blitzartig erkannt haben, denn mit aufheulendem Motor und quietschenden Reifen wendete er und raste wieder zurück auf die Straße.
»Jan, hörst du noch? Er flüchtet!«, rief Paul Wellmann in das Mikrofon des Autotelefons, während Oskar Lindt das Gaspedal des Sechszylinders ganz durchdrückte, um die
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