Zuckerblut
erledigt und fast immer hatten wir ein interessantes Gespräch über rechtliche Themen.«
›Ach wie edel, der fürsorgliche Neffe‹, fast hätte Oskar Lindt ausgesprochen, was er dachte. ›Hilft nach einem harten Arbeitstag im Büro noch seinem alten kranken Onkel, und die juristischen Themen der Unterhaltungen, die haben sich sicherlich um einen beinahe bankrotten, spielsüchtigen Rechtsanwalt gedreht.‹
Wellmann fragte weiter: »Wie stand es an diesem Abend gesundheitlich bei ihm? Hat er über irgendwelche Beschwerden geklagt? Manchmal kündigt sich der Tod auch schon einige Zeit vorher an.«
»Sie meinen, mein Onkel hätte den Sensenmann bereits kommen sehen? Nein, überhaupt nicht, er war putzmunter, ich hatte keinen Grund zur Sorge. Seine Beine zwar, die machten ihm wie immer schwer zu schaffen, doch das Medikament zur Blutverdünnung wollte er partout nicht einnehmen, so sehr sein Hausarzt und ich auch darauf drängten.
»Ging er regelmäßig zum Arzt?«
»Manchmal bestellte er sich ein Taxi, aber nur, wenn es unbedingt sein musste. In der Regel kam der Arzt einmal in der Woche auf einen kurzen Hausbesuch.«
Lindt hatte eine Idee und schaltete sich ein: »Dauerte es lange, bis er Ihnen am fraglichen Abend die Tür öffnen konnte? Eine Sprechanlage habe ich an dem Haus nicht bemerkt.«
»Mir als einzigem Angehörigen hatte er natürlich schon längst einen Schlüssel gegeben, damit er sich nicht so plagen musste.«
Beide Kommissare nickten verständnisvoll und freuten sich, wieder ein kleines Indiz gesichert zu haben. Einerseits klang es logisch, dem nächsten Verwandten einen Hausschlüssel zu geben – andererseits konnte ein potentieller Mörder sich so natürlich völlig unbemerkt Zutritt verschaffen.
»Ja, Herr Baumbach, wir müssen jetzt noch mal eine kleine Pause machen«, beendete Lindt das Verhör vorerst und zeigte auf Kaffee und Kekse, die mittlerweile gebracht worden waren. »Bitte, bedienen Sie sich doch!«
Die zwei Kriminalbeamten verließen den fensterlosen Raum, um sich mit dem Staatsanwalt zu beraten.
»Meinen Sie nicht, es gäbe jetzt genügend Anhaltspunkte, um ihn für eine Weile festzusetzen?«
Conradi zögerte: »Gut, er hätte ein starkes Motiv, nämlich Geld, das er dringend brauchte, um seinen drohenden Bankrott zu verhindern. Dann der eigene Hausschlüssel, mit dem er jederzeit und ungehindert Zutritt zum Haus des Richters hatte. Für sein Tatzeit-Alibi hat er keine Zeugen, sondern kann nur das Fernsehprogramm nennen und nicht zu vergessen die gefälschte Unterschrift auf der Einäscherungsverfügung.«
»Das müsste doch wirklich reichen«, drängte Lindt. »Wir brauchen endlich mal wieder einen Erfolg, auch wegen der Öffentlichkeit.«
Der kleine Staatsanwalt wiegte bedenkenschwer seinen Kopf und zeigte durch die einseitig verspiegelte Glasscheibe auf den Anwalt. »Sehen Sie sich doch mal den Gesichtsausdruck an. Dieser Baumbach ist sich seiner Sache so sicher, dass ich wirklich zweifle, ob er es gewesen ist. Was meinen Sie, wie der uns alle durch den Kakao zieht, wenn wir ihn zu Unrecht einsperren. Das wäre gar nicht auszudenken. Da macht der die größte Publicity daraus und wir stehen nachher im Regen. Ich weiß wirklich nicht – die Beweislage ist einfach noch zu unsicher. Hat denn die Spurensicherung nichts ergeben?«
»Ach was«, Lindt reagierte mehr und mehr genervt. »Spu-Si, das hat doch jetzt keinen Wert mehr. Die Leiche ist restlos verbrannt und im Haus des alten Baumbach gibt es natürlich jede Menge Spuren von seinem Neffen. Schließlich ist er ja auch der Erbe. Nein, so kommen wir nicht weiter. Ich wäre für Untersuchungshaft. Irgendwann wird er bestimmt gestehen.«
Conradi war mit diesem Vorschlag nicht glücklich: »Sie wollen also wirklich die Daumenschrauben ansetzen?«
»Nein, so brutal sicherlich nicht«, antwortete der Kommissar, »aber wir würden uns freuen, wenn Sie wenigstens den Versuch machen würden, die ganze Angelegenheit mit einem Richter zu besprechen. Vielleicht gibt es ja einen, der den alten Baumbach noch gekannt hat oder einen, der kurz vor der Pension steht, und den das Risiko, diesen windigen Anwalt ein paar Tage oder Wochen zu Unrecht einzusperren, nicht sehr belasten würde.«
»Also gut, ich lasse mich breitschlagen, ich werde mein Möglichstes tun«, erklärte der Staatsanwalt und setzte noch ganz grimmig hinzu: »Verdient hätte der da drin es auf jeden Fall!«
»Bravo, Herr Conradi, das hören wir gerne!« Jan
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