Zuckerblut
konfrontierte Lindt den Rechtsanwalt mit dieser Tatsache.
Der aber gab sich völlig ahnungslos und überrascht. Das müsse bestimmt ein Irrtum sein, ja, vielleicht hätten sein Onkel und er ein ähnliches Schriftbild, schließlich seien sie nahe Verwandte, bestimmt eine Verwechslung, die sich bald zum Positiven aufklären würde.
Außerdem hätte sein Onkel schon vor vielen Jahren festgelegt, nach seinem Tod einmal verbrannt zu werden.
»Bitte, Herr Hauptkommissar«, fuhr der Anwalt fort, »welches Interesse sollte ich denn daran haben, diese Verfügung zu fälschen?«
»Dazu kommen wir später noch.« Der Kommissar wollte nicht gleich alle Karten auf den Tisch legen.
»Bitte erzählen Sie uns nochmals ganz ausführlich, wo Sie waren, als ihr Onkel gestorben ist.«
Baumbach überlegte kurz: »So, wie sein Hausarzt mir sagte, muss er wohl am späten Abend gestorben sein. Zu dieser Zeit war ich längst zuhause.«
»Zeugen dafür?«
»Leider nein, ich lebe alleine.«
»Ein Nachbar vielleicht, dem Sie auf der Treppe begegnet wären?«
»Tut mir Leid, ich glaube nicht, dass mich jemand gesehen hat.«
»Schade, schade«, schüttelte der Kommissar den Kopf. Der Anwalt hatte nun zwar kein Alibi für den möglichen Todeszeitpunkt des alten Richters, aber einen Beweis, dass seine Angaben falsch waren, ließ sich ebenso wenig erbringen.
»Zuhause habe ich allerdings ferngesehen.« Mit dem Lächeln eines Spielers, der ein falsches As aus dem Ärmel zieht, unterbrach Baumbach die kurze Reflexion des Kommissars. »Erst im Zweiten das ›Heute-Journal‹ und später dann den Krimi. Mit der Kieler Kommissarin – sehr fähige Ermittlerin übrigens – ›Tod am Norwegenkai‹, toller Film, erinnern Sie sich?«
»Leider zu wenig Zeit, um fernzusehen, ich habe hier den ganzen Tag Krimi-live«, brummte Lindt ärgerlich, denn er bezog die spitze Bemerkung ›sehr fähige Ermittlerin‹ auf sich und den unbefriedigenden Stand seiner eigenen Arbeit.
Er machte eine kurze Notiz, das Fernsehprogramm des betreffenden Abends zu überprüfen, war sich aber schon ziemlich sicher, dass diese Sendung zu der fraglichen Zeit gelaufen war.
›Hat bestimmt damit gerechnet, einmal nach seinem Alibi gefragt zu werden‹, ging dem Kommissar durch den Kopf. Der Anwalt konnte zwar einfach das TV-Programm studiert und sich das Wichtigste gemerkt haben, aber widerlegbar war auch diese Aussage nicht.
»Danach sind Sie bestimmt gleich zu Bett gegangen?«
»Woher wissen Sie ..., Herr Kommissar?«, grinste Baumbach ebenso süffisant wie arrogant.
Lindt ging nicht darauf ein: »Und vorher? Wie war Ihr Abend, wo haben Sie ihn verbracht?«
»Ich kam direkt von meinem Onkel, den ich in der letzten Zeit öfter besucht hatte. Ich erwähnte es ja bereits – gesundheitlich war er recht angeschlagen und als sein einziger Verwandter habe ich ein paar Mal in der Woche nach ihm gesehen. Meist abends, so zwischen acht und neun. Da können Sie auch gerne die Nachbarn dort befragen ...«
›Wahrscheinlich nur, um ihn anzupumpen‹, wäre dem Kommissar fast herausgerutscht. Eine solche Bemerkung schluckte er lieber schnell hinunter, da er sich schon die Dienstaufsichtsbeschwerde vorstellen konnte, mit der dieser windige Jurist auf eine derartige unbedachte Äußerung reagieren würde.
»Also, noch mal von vorn«, fuhr Lindt mit der Vernehmung fort. »Besuch bei Ihrem Onkel.«
Baumbach nickte.
»Dem ging es um neun Uhr abends noch gut.«
Ein weiteres Kopfnicken.
»Dann direkt nach Hause gefahren und ab vor den Fernseher.«
»Um halb zehn war ich ungefähr daheim«, vervollständigte der Jurist ganz beflissen die Angaben.
»Haben Sie nichts gegessen?« Lindt ging bei dieser Frage von sich selbst und seinem abendlichen Appetit aus.
»Am Abend verzichte ich meist. Ich möchte auf meine Linie achten ...«
Schon wieder eine spitze Bemerkung, die den Kommissar persönlich traf, vor allem, weil der Anwalt dabei nochmals das freche Grinsen aufsetzte und unverhohlen auf den deutlich erkennbaren Bauchansatz seines Gegenübers blickte.
Paul Wellmann wusste, dass sein langjähriger Kollege bei derartigen Anspielungen besonders empfindlich war und fragte dazwischen: »Was hat Ihr Onkel denn an diesem Abend gemacht? Er besaß ja keinen Fernsehapparat.«
»Als ich kam, war er wie so oft im Arbeitszimmer und las in seinen Büchern oder Fachzeitschriften. Häufig hat er auch an alte Freunde geschrieben. Ich habe ihm dann meistens einige Kleinigkeiten im Haushalt
Weitere Kostenlose Bücher