Zuckerblut
Verfolgung aufzunehmen.
Magnetblaulicht aufs Dach, Signalhorn eingeschaltet und die Zentrale per Funk um Verstärkung gebeten – routiniert unterstützte Beifahrer Wellmann seinen Chef, obwohl solche Einsatzfahrten in Lindts Team wirklich die Ausnahme waren.
In derartigen Fällen bediente er sich lieber der Schutzpolizei oder den Einsatzkommandos, die mehr Übung hatten.
Nun jedoch gab es keine Wahl und mit höchster Konzentration jagten die beiden Kommissare dem flüchtenden Geländewagen nach.
Auf der breit ausgebauten Landstraße nach Blankenloch verringerte sich der Abstand zunehmend.
»Gleich haben wir ihn, Oskar«, stieß Wellmann hervor, doch dann bog Weinbrecht zur Waldstadt und dort in Richtung Eggenstein ab. In den engen Kurven neigte sich der hohe Mercedes-Jeep so abenteuerlich zur Seite, dass die Verfolger fürchteten, er werde jeden Augenblick umkippen, doch die Bordelektronik schien ihn davor zu bewahren.
»Der will uns bestimmt in den Wald locken und dort abhängen. Auf der Straße kriegen wir ihn, das weiß er genau«, keuchte Lindt, während auch er waghalsig durch die Kurven jagte.
Kaum ausgesprochen, bewahrheitete sich diese Vermutung schon. Nahezu ungebremst schlidderte der schwere Wagen quer über die Straße, bog im rechten Winkel in einen Waldweg ein und raste dort weiter. Glücklicherweise war der Abstand noch so groß, dass Lindt rechtzeitig abbremsen und einigermaßen sicher abbiegen konnte.
Zwei Radfahrer sahen die Wagen kommen und zogen eine Notbremsung im Grünen der sicheren Kollision vor. Kopfschüttelnd konnten sie es nicht fassen, dass mitten im Wald ein weinroter Citroën mit Blaulicht einen großen Geländewagen verfolgte.
Den nächsten Querweg nutzte Weinbrecht gleich wieder, um seine Verfolger abzuschütteln. Der Kommissar driftete in bester Rallye-Manier hinterher, allerdings mit Heimvorteil, denn die Wege nahe der Waldstadt kannte er vom Radfahren und Spazieren gehen natürlich wie seine Westentasche. Dennoch schien der Verfolgte den Abstand etwas vergrößern zu können. Erneut bog er ab und war kurzzeitig aus dem Blickfeld der Verfolger verschwunden.
Ein lautes Krachen! Instinktiv nahm Lindt die unübersichtliche Abzweigung mit verringerter Geschwindigkeit und konnte seinen Wagen gerade noch zum Stehen bringen.
Ein Langholzlastzug beim Beladen stand mitten im Weg. Den Kommissaren stockte der Atem. Der graue Mercedes steckte schräg eingekeilt hinter dem Nachläufer des Lkws unter den nach hinten ragenden Baumstämmen.
Sie hasteten nach vorne.
Weinbrecht hing in seinem Sicherheitsgurt zusammengesunken und regungslos auf dem Fahrersitz. Vor ihm der schlaffe weiße Sack des Airbags, daneben die zerbrochene Seitenscheibe und knapp über seinem Kopf das eingedrückte Dach.
Er öffnete die Augen, als er die Beamten bemerkte. Kein Ton kam über seine Lippen, aber auf den ersten Blick waren weder Blut noch größere Verletzungen zu bemerken.
Die verbogene Fahrertür ließ sich nicht öffnen und auch die Beifahrerseite klemmte.
Weinbrecht zeigte keine Reaktion, als Lindt versuchte, ihn anzusprechen. Lediglich ein hasserfüllter Blick stand in den Augen des Verunglückten. Ein krasser Gegensatz zur gewinnenden Freundlichkeit des sympathischen und seriös wirkenden Geschäftsmannes, der die Kommissare noch vor einigen Tagen so beeindruckt hatte.
Der Fahrer des Langholzlasters war von seinem Ladekran abgestiegen und schnell herbeigeeilt.
»Die Türen gehen nicht auf«, rief Wellmann ihm zu. »Haben Sie eine Brechstange dabei?«
Er nickte und hatte in Windeseile ein langes Eisen herbeigeschafft. Zu zweit schafften sie es nach mehreren Anläufen und mit lautem Krachen öffnete sich die Beifahrertür.
Lindt hatte mittlerweile seine Dienstpistole entsichert und sich seitlich postiert.
»Sind Sie verletzt, oder können Sie hier aussteigen?«
Langsam begann Weinbrecht, sich zu bewegen, kletterte mühsam über die Mittelkonsole hinweg, kroch vom Beifahrersitz und richtete sich am Türholm auf.
»Haben Sie irgendwelche Beschwerden?«, fragte Lindt nochmals, und als Weinbrecht den Kopf schüttelte, schlossen sich zur Sicherheit erst einmal Paul Wellmanns Handschellen um seine Gelenke.
Lindt forderte dennoch Rettungsdienst und Notarzt an, um kein Risiko einzugehen. Eine nicht erkannte innere Verletzung konnte übel ausgehen. Automatisch setzte auch das Polizeirevier Waldstadt zwei Streifenwagen in Marsch. Aufgrund seiner guten Ortskenntnis konnte der Kommissar den
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