Zuckerblut
war, hat sie die Zahlen möglicherweise auch noch auf ihrem PC gespeichert.«
Fieberhaft machte er sich gleich an die Arbeit.
»TAN-Liste? Ist das was Chinesisches? Eine Speisekarte vielleicht?« Paul Wellmann hatte den Sprung ins Online-Banking wohl anscheinend nicht geschafft, doch Hauptkommissar Lindt zeigte sich informiert: »TAN, Paul, heißt Transaktionsnummer. Der Kontoinhaber bekommt von der Bank eine lange Liste mit Zahlenkombinationen zugeschickt, sechsstellig meistens und bei jeder Überweisung muss er eine dieser Nummern eingeben.«
»Oskar, du erstaunst mich immer wieder. Sag nur, du machst deine Bankgeschäfte auch übers Internet?«
»Ach schon lange, ist doch wirklich bequem, von zuhause aus. Aber meine TAN-Zahlen, die habe ich nur auf Papier. Niemals würde ich sie auf der Festplatte speichern – viel zu unsicher. Heutzutage kommen diese Hacker doch überall rein.«
»Stimmt genau, Herr Lindt, falls sie mich meinten mit ›Hacker‹, ich bin drin!«, frohlockte der Computerspezialist aus der Betrugsabteilung. »Die müssen ihrer Sache wirklich sehr sicher gewesen sein. So was Unvorsichtiges! Die ganze Liste gespeichert.«
»Na dann aber nichts wie los, bevor die Frau Weinbrecht in Kroatien Wind bekommt und ihr Konto leer räumt!«, forderte der Kommissar den ›Hacker‹-Kollegen auf. »Am besten auf das deutsche Konto der Kindernothilfe bei der Landesbank. Das wäre nicht so auffällig und wir könnten das Geld dort am schnellsten sicherstellen.«
Der Beamte tippte die Kontonummer aus dem Impressum der Vereinszeitung ab, gab 4 150 000 Euro ein und schickte die Überweisung mit einer der enttarnten TAN -Nummern auf die Reise nach Zagreb.
Lindt nahm den Telefonhörer in die Hand, gab aber vorher noch schnell ein paar Anweisungen: »Jan und Paul, ihr beide macht euch sofort auf den Weg rüber zur Landesbank an den Schlossplatz. Geht gleich zum Direktor und erklärt ihm alles. Vielleicht könnt ihr ja miterleben, wie die Millionen dort eintrudeln. Ich informiere ihn mal vorab am Telefon.«
22
Der Kommissar nutzte die Ruhe im Büro, um zuerst dem Leiter des Betrugsdezernats eine lobende Notiz über seinen hervorragenden Mitarbeiter zu schreiben, ohne dessen umfassende Computerkenntnisse die skandalösen Machenschaften des Ehepaars Weinbrecht nicht aufgedeckt worden wären.
Anschließend lehnte er sich in seinem großen Bürosessel zurück und legte, weil niemand zusah, die Beine auf den Schreibtisch.
Gesucht hatte er eigentlich den Mörder einer Krankenschwester – gefunden aber einen unglaublichen Fall von ... ja was eigentlich? Betrug? Unterschlagung? Veruntreuung? Lindt wusste selbst nicht ganz genau, wie die Anklage lauten würde, doch das war auch Sache des Staatsanwaltes.
Der ›Kurze‹ war noch bei einem Gerichtstermin und würde erst am späten Nachmittag zurück sein. Der Kommissar entschied, darauf zu warten, denn er wollte ›seinen‹ Staatsanwalt zuerst von den neuen Erkenntnissen informieren.
Er musste jetzt vor allem austüfteln, wie die Ermittlungen weitergehen sollten.
Kurz dachte er an den Rechtsanwalt Baumbach, der immer noch festgehalten wurde. Die Beweislage war dort so dünn, dass er diesen windigen Juristen vermutlich bald wieder freilassen musste – wenn ihm nicht noch etwas Entscheidendes einfiel ...
Danach grübelte Lindt über Harald Weinbrecht nach. Dicke Rauchwolken zogen erst um seinen Kopf und dann durch die weit geöffneten Fenster nach draußen.
Wo war der Zusammenhang zwischen den veruntreuten Millionen und dem Mord an Schwester Andrea?
Dass der auf den ersten Eindruck so freundliche und vertrauenswürdige Pflegedienstchef Weinbrecht enorme kriminelle Energie hatte, war nun bewiesen.
Reichte sie aber auch, um einen Mord zu begehen? Und falls er seine Mitarbeiterin erwürgt hatte – welchen Grund, welches Motiv hätte er dafür gehabt?
Hatte die Krankenschwester etwas von den Machenschaften ihres Chefs gemerkt und deshalb sterben müssen?
Lindt fand diese Möglichkeit durchaus nahe liegend. Aber wie könnte er es anstellen, die Wahrheit ans Licht zu bringen?
Ein langes Verhör? Was käme dabei heraus? Ein Geständnis?
Der Kommissar schüttelte seinen Kopf. Nein, er fühlte, dass Weinbrecht nur das gestehen würde, was man ihm ohnehin hieb- und stichfest beweisen konnte. Vielleicht schwieg er auch ganz oder stritt alles ab.
Beweise mussten her, gerichtsfest und unwiderlegbar. So hatte Lindt bisher immer gearbeitet und auf eine
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