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Zuckerguss (German Edition)

Zuckerguss (German Edition)

Titel: Zuckerguss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anica Schriever
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Wahnsinn?«
    Als Wahnsinn bezeichne ich vor allem ihr Geplapper, ohne ein einziges Mal Luft zu holen. Mir dröhnt bereits der Kopf.
    »Hier bist du, Schatz. Ich suche dich überall.« Meine Mutter eilt auf mich zu und zieht mich ohne ein weiteres Wort hinter sich her.
    »Was ist denn, Mama?«
    »Ich finde es schön, dass du dich so nett mit Luisa unterhältst, aber könntest du dich zur Abwechslung auch einmal um die anderen Gäste kümmern?«, bemerkt sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet.
    »Aber ich bin doch auf der Party. Ich trage sogar ein Kleid. Was soll ich denn noch tun?«, jammere ich.
    »Präsent sein. Alle Welt fragt nach dir!«, sagt meine Mutter vorwurfsvoll.
    Das bezweifele ich. Ich glaube kaum, dass sich jemand an das schwarze Schaf der Familie Behrens erinnert. Und selbst wenn, ich bin nicht scharf darauf, mich in Erinnerung zu bringen. Natürlich habe ich die Rechnung ohne meine Mutter gemacht, die mich geradewegs zu Papa und dem Bürgermeister zerrt.
    Mein Vater winkt mich zu sich. »Claus Gerhardt, darf ich Ihnen meine Tochter Miriam vorstellen?«
    Huch! Redet Papa wieder mit mir?
    Der Bürgermeister schüttelt erfreut meine Hand. »Nett, Sie kennenzulernen, junge Dame. Ihr Vater hat mir schon eine ganze Menge über Sie verraten.« Ich versuche ein Lächeln, aber es bleibt mir im Halse stecken. »Wie fühlt es sich an, wieder in seiner alten Heimatstadt zu sein?«, fährt er fort, mich neugierig von oben bis unten musternd.
    »Ungewohnt«, antworte ich ehrlich. »Das Meer ist allerdings nach wie vor überwältigend.«
    Der Bürgermeister lacht. »Die frische Meeresbrise hat Ihnen in Hannover gefehlt, was? Kann ich verstehen. Als Kind wollte ich auch immer raus aus Wismar und hinein ins Großstadtleben. Heute kann ich gar nicht mehr verstehen, was ich daran verlockend fand«, wendet er sich jovial an meinen Vater.
    Papa schmunzelt pflichtbewusst. »Wem sagen Sie das«, bestätigt er, »zumal Miriam hier Perspektiven hat.«
    Ich hole tief Luft. Nicht wieder diese Leier! Mein Vater schaut mich durchdringend an, als wollte er sagen: »Was denn? Ich habe doch recht!« Meinetwegen, wenn es ihm dann besser geht. Ich bereue meine Entscheidung von damals trotzdem nicht. Vielleicht hätte ich einiges geschickter anstellen können, aber es war der richtige Weg, den ich gegangen bin. Ob er das nun einsehen will oder nicht.
    »Eigentlich sollte unsere Miriam später die Bäckerei übernehmen, und nicht mein Sohn Alexander. Sie bekam das Talent dazu praktisch in die Wiege gelegt. Dann fand sie zu meinem Leidwesen geistes- und sozialwissenschaftliche Studien spannender. Was für eine Verschwendung!«, entgegnet mein Vater mit gequältem Gesichtsausdruck.
    » PAPA !«
    Muss er wirklich vor dem Bürgermeister die ganze Sache von vor fünf Jahren ausdiskutieren? Langsam sollte das wirklich Schnee von gestern sein. Mein Vater muss langsam anfangen zu akzeptieren, dass nicht ich, sondern Alex die Bäckerei in Zukunft führen wird. Das kann doch nicht so schwierig sein! Denn mein Bruder macht seine Sache gut, wie Papa gerade seinem neuen Kumpel, dem Bürgermeister, verdeutlicht – obwohl das eigentlich nicht der ursprüngliche Plan gewesen ist. Wenigstens bleibt damit alles beim Alten. Alex ist der Held, der die Kohlen aus dem Feuer holt, und ich bin die Böse, die sich davongestohlen hat.
    »Wo bleibt denn dein Freund, Miriam?« Meine Mutter sieht ganz aufgeregt aus. Ich wünschte, ich könnte ihre Begeisterung annähernd teilen.
    »Der verspätet sich etwas«, murmele ich zögerlich, in der Hoffnung, dass sie das Thema schnell vergisst.
    Sie nickt beruhigt.
    Ich sollte mich vielmehr selbst beruhigen, dieses ganze Notlügenkonstrukt beginnt langsam in Arbeit auszuarten. Nachdem mein Vater sich aber sogar vor dem Bürgermeister über meine Unzulänglichkeiten auslässt, ist es wohl eher nicht ratsam, jetzt mit der Wahrheit herauszurücken.
    Ich brauche dringend etwas zu trinken.
    Was Hochprozentiges!
    Ich entschuldige mich gestenreich beim Bürgermeister und schlängele mich zielsicher zur improvisierten Bar durch. Außer Champagner und Wein gibt es aber nur Whiskey und Brandy. Na schön, bleibe ich dem Sprudelzeug eben weiter treu. Hastig kippe ich mir den Schampus in den Rachen. Und gleich noch ein weiteres Glas, auf einem Bein kann man schließlich nicht stehen.
    Wie ich leider erst zu spät bemerke, bin ich an der Bar den Blicken aller hilflos ausgeliefert. Einige Gäste schütteln pikiert mit dem Kopf.

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