Zuckerguss und Liebeslieder Roman
heute Abend nur einen Preis gibt, den ich gern in Händen hielte.«
Ich trete einen Schritt zurück und mustere ihn hochnäsig. Dann deute ich auf den Korb. »Ein trojanisches Pferd, nehme ich an?«, frage ich mit unüberhörbar ironischem Unterton.
Gerry sieht mich verständnislos an. »Nein, ein Obstkorb.«
»Das ist metaphorisch gesprochen«, fahre ich ihn an. »Das trojanische Pferd sah aus wie ein Geschenk, barg in Wirklichkeit aber einen Haufen angriffslustiger Soldaten. Die Analogie liegt ja wohl auf der Hand.«
Gerry blickt mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Die was?«
Da ist Hopfen und Malz verloren. Ich lasse den ironischen Unterton sein. »Wie ich höre, wolltest du Caseys Großvater überreden, dir seine Farm zu verkaufen, und hast keinerlei Interesse daran, dass dieser Abend ein Erfolg wird. Du hast mich nach Strich und Faden belogen.«
Gerry blinzelt betreten und setzt dann eine mustergültige Unschuldsmiene auf. Kein Wunder, dass er am Kartentisch nichts taugt. »Ich? Niemals! Ich schwöre.«
»Wie konntest du nur?«, fauche ich.
Bevor ich Gerry sagen kann, dass er die längste Zeit mein Freund gewesen ist, kommt Heidi dazwischen. Sie trägt ein schwarzes Cocktailkleid: noch etwas tiefer ausgeschnitten als meins, unwesentlich kürzer und vielleicht einen Hauch enger.
Gerry starrt von einer zur anderen. »Hey, ihr zwei könntet glatt Schwestern sein.« Er sieht aus wie ein Kater vor einer Schüssel Schlagsahne. »Vielleicht könnten wir drei ja nachher noch was unternehmen.«
»Ach, Schnauze«, sagen Heidi und ich im Chor. Sie stellt sich auf ihren High Heels (ungefähr fünf Zentimeter höher als meine) in Positur und wedelt mit einem Stapel von Tombolalosen herum. »Bisher haben wir schon mehr als tausend Dollar vorab eingenommen.«
»Mehr als tausend«, wiederholt Gerry und macht ein langes Gesicht. Unsere Blicke treffen sich. »Super!«
»Nun kommen Sie, Alice«, sagt Heidi liebevoll. »Ab jetzt ist Einlass. Gehen Sie in die Turnhalle und lassen Sie sich gebührend feiern.«
Eine Stunde später frage ich mich, ob ich Heidi nicht doch falsch eingeschätzt habe. Vielleicht war ich ja zu zynisch und zu misstrauisch, und sie steht doch auf meiner Seite. Das Konzert läuft wunderbar. Der Barnsleyer Kindergarten
hat tapfer »Yellow Submarine« gekräht, und Mr. Horners Version von »Edelweiß« für Akkordeon hat Dolores zu Tränen gerührt. »Ich muss noch fünfzig Maiskolben schälen, aber das hätte ich mir um allen Kartoffelsalat in ganz Ohio nicht entgehen lassen«, sagte sie und putzte sich kräftig die Nase.
Jetzt ist Madison gerade mit »Hit Me Baby One More Time« fertig und die Tanzfläche rappelvoll.
»Sehen Sie«, sage ich selbstgefällig zu Heidi, die mit einem Mal neben mir steht, »alles läuft ganz nach Plan.«
»Ja, so ist es«, sagt sie herzlich.
Dann legt Madison mit »Vale Of Tears« los. O Gott, nein. Davon hat sie mir kein Sterbenswörtchen gesagt.
Shattered dreams
Faded hopes
I gave my heart
Now it’s broke.
Ein paar Minuten machen die Leute noch halbherzige Tanzversuche, dann geben sie auf und gehen zu ihren Tischen zurück. Bei der zweiten Strophe verzieht sich der halbe Saal zügig Richtung Bar. Als Madison durch ist, rufe ich sie zu mir an die Bühnenkante.
»Machen wir kurz Pause, Madison.«
»Aber ich habe noch einen anderen selbstgeschriebenen Song«, protestiert sie. »Der Titel lautet ›Heal My Inner Child‹.«
Ich winke die Jungs von der Straßeninspektion herbei. Erstaunlicherweise halte ich mich ganz ordentlich, obwohl in der Turnhalle mittlerweile gespenstisches Schweigen herrscht.
»Wir brauchen was, das die Leute von den Sitzen reißt«, zische ich Chris zu.
Er wirkt leicht verdutzt. »Wir haben doch die Titelliste.«
Was für eine Titelliste?
Die Frage erübrigt sich. Der Schlagzeuger und der Gitarrist verlieren keine Zeit. Heiliger Strohsack, sie spielen »Wonderwall«. Und zwar abartig schlecht. Mir wird schlagartig klar, was für ein begnadeter Sänger Noel Gallagher ist. Die Version der Jungs von der Straßeninspektion sollte auf immer und ewig unter Verschluss bleiben.
Endlich ist es vorbei, und Chris greift zum Mikrofon. »Ich möchte Alice dafür danken, dass sie uns geholfen hat, unsere wahre Kreativität zu entdecken und neue Wege zu gehen. Das hier ist für dich, Alice.« Die Jungs brechen in Beifallsrufe aus. Vielleicht wird ja doch noch alles gut. Ich winke ihnen zu.
Nach den ersten paar Takten erkenne ich das
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