Zuckerguss und Liebeslieder Roman
sinkt in sich zusammen. »Opa sagt, der einzige Ausweg ist, Mary Lou zu verkaufen.«
Der Tag hat es wahrhaftig in sich. Erst werde ich zur Teilnahme
an einem Cupcake-Wettbewerb herausgefordert, dann für eine professionelle Strickerin fallen gelassen, und jetzt droht der Verkauf einer heißgeliebten Kuh. Wer sagt, das Leben im Mittleren Westen sei öde, ist noch nie in Barnsley gewesen.
»Weiß Wyatt davon?« Er würde bestimmt auf der Stelle aushelfen.
Casey schüttelt den Kopf. »Ich hab’s Ihnen doch gesagt. Opa sagt, das geht gegen die Familienehre, und wir reden mit niemandem über unsere Privatangelegenheiten.«
Ob in Reaktion auf die Ereignisse des Tages oder einfach nur auf Caseys niedergeschmetterte Miene, jedenfalls packt mich die Wut auf Opa - ein Mann, dem sein verbohrter Stolz wichtiger ist als die Gefühle seiner Lieben. Meine Güte, allmählich höre ich mich an, als gehörte ich hier dazu.
»Sie müssen mir versprechen, keinem was davon zu sagen«, bittet Casey ängstlich.
»Großes Indianer- und Piratenehrenwort.«
Das scheint ihn zu beruhigen.
»Keine Sorge, Casey«, sage ich bestimmt. »Wir finden schon eine Lösung.«
Er sieht mich an. »Opa sagt, es geht nicht anders.« Er guckt genauer hin. »Warum sind Ihre Augen so rot?«
»Sind sie nicht.«
»Doch, sind sie.«
Na gut. »Mein Freund und ich haben uns gerade getrennt.« Ich zwinge mich, munter zu klingen. »Aber ich betrachte das Ganze von der positiven Seite. Letztlich wird etwas Gutes dabei herauskommen. So musst du auch die Sache mit Mary Lou sehen.«
Casey lässt sich nicht beirren. »Wieso hat er mit Ihnen Schluss gemacht?«
Wieso geht er davon aus, dass nicht ich diejenige bin, die Schluss gemacht hat? Egal, er hat ja recht. »Weil er jemand anderen kennengelernt hat. Ich glaube, es lag an der Entfernung zwischen uns.«
»Sie meinen, er hat Sie total vergessen, als Sie nicht mehr da waren?«
Ich mache mir im Geist eine Notiz, nie wieder mit einem Zwölfjährigen über mein Liebesleben zu diskutieren. »Ja, ziemlich genau so.«
»Na, ich finde, der ist eine Null«, sagt Casey, »und das wird ihm bestimmt noch leidtun.«
Ich nehme ihn in die Arme. »Recht hast du.« Ich bin in Versuchung, ihm Details über Zara zu erzählen - dass sie zum Beispiel zwanghaft die Schokolade von Kit-Kat-Riegeln ablutscht und ihr Augen-Make-up im Kühlschrank aufbewahrt, seit sie was von Milben in Wimpern gehört hat. Dann fällt mir ein, dass ich die Erwachsene bin und er das Kind. »Casey, wir müssen uns einen Plan ausdenken, wie wir Mary Lou retten können«, sage ich so munter wie möglich.
Casey schaut mit vertrauensvollem Kinderblick zu mir auf. »Wirklich?« Mit einem Mal erstrahlt Hoffnung auf seinem Gesicht. »Können Sie sie retten?«
Keine Ahnung, aber das darf ich ihn nicht merken lassen, sondern muss erst mal Zeit gewinnen. »Haben wir dein Kentucky-Referat gemeistert?«
Er nickt.
»Hast du eine Eins plus für die Flora und Fauna von Ohio bekommen?«
Er nickt.
»Dann finden wir auch etwas, wie wir Mary Lou behalten können«, sage ich im Brustton der Überzeugung, »und
sie zu der Ohio State Show bringen«, setze ich kühn noch eins drauf.
Seine Miene erhellt sich. »Wow.«
Er springt auf und sagt aufgekratzt zu Mary Lou: »Wir gewinnen die State Show!«
Ich bereue bereits meinen verwegenen Nachsatz, aber jetzt ist es schon zu spät. Casey zeigt auf Mary Lous Siegerrosette von der Scott County Show. »Du kriegst hier eine Riesenrosette hingenagelt«, versichert er ihr und deutet zur Scheunenwand. »Alice denkt sich was aus und löst alle unsere Probleme!«
Er schlingt die Arme um Mary Lous Hals und vergräbt das Gesicht in ihrem samtigen Fell. In dem Moment kommt Wyatt in die Scheune. Casey wirft mir einen warnenden Blick zu und legt den Finger auf die Lippen. Ich nicke. Schließlich habe ich es versprochen.
Als Wyatt vor uns steht, tun wir ganz gelassen wie zwei schlechte Schauspieler: Ich blicke, beide Hände in den Hosentaschen, zur Decke, Casey pfeift vor sich hin und scharrt mit dem Füßen.
Wyatt lässt sich keine Sekunde täuschen. »Was gibt’s?«, fragt er und schaut von mir zu Casey und wieder zurück zu mir.
Wir reden beide gleichzeitig los.
»Nichts«, sage ich.
»Es ist wegen Alice«, sagt Casey. »Ihr Freund hat mit ihr Schluss gemacht.«
Ist es zu fassen! Welch ein Mangel an Loyalität!
Casey grinst mich ungerührt an. »Alice hat gesagt, er hat sie total vergessen, und es wird ihm noch
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