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Zuckerleben: Roman (German Edition)

Zuckerleben: Roman (German Edition)

Titel: Zuckerleben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pyotr Magnus Nedov
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Puschkin.«
    »Und woher weißt du das so genau?«
    »Die drei haben unterschiedliche Charaktere und Persönlichkeiten, daran kann man sie auseinanderhalten. Aber das braucht einige Zeit und Übung, bis man das erkennt, auch weil sie einige wichtige Charaktereigenschaften teilen. Sie legen zum Beispiel alle ein todesverachtendes Verhalten an den Tag. Puschkin und Lermontow etwa haben sich in den letzten Tagen mehrmals duelliert, mit Esenin, dem Kater. Doch Esenin der Kater hat ihnen nie etwas angetan, trotz seiner physischen Überlegenheit. Esenin ist nämlich ein eher melancholischer Kater, weißt du. Wahrscheinlich fand er tief in seinem Inneren sogar Verständnis für ihr Verhalten. Es ist noch nicht lange her, da schlief Esenin friedlich zwischen Puschkin und Lermontow in Isidoras Schoß. Aber auch Gogol ist kein Kind von traurigen Eltern, wenn du mich fragst. Ach ja, und noch etwas Wichtiges verbindet die drei: Sie sind unzertrennlich. Sie gehen sogar zusammen spazieren. Deshalb haben wir sie sofort die ›russischen Klassiker‹ getauft, nachdem Vadim und ich die Hühner auf einer Samagon-Verkaufstour in Pivniceni bei einer Alkoholikerin erworben hatten.«
    »Und Trotzki?«
    »Trotzki? Der kam später dazu, der ist aus Transnistrien.«
    »Schau mal, Gogol hat zwei Eier gelegt!«, bemerkt Nadja mit einem zufriedenen Lächeln, schubst Gogol ein wenig zur Seite, legt Gogols Produktion in ein gepolstertes Körbchen, gibt Pitirim Tutunaru einen Kuss auf die Lippen und geht zu Lermontow über.
    Der Dondușenier Spekulant stöbert indes weiter in seinem Minibus tschechoslowakischer Produktion. Nach einiger Zeit findet er das Gesuchte: Es ist ein GroSoRe-Ölbild Vadims, das sie zusammen mit dem Minibus, Trotzki und den Hühnern aus der Zuckerfabrik haben retten können, es ist Tutunarus Lieblingsbild. Darauf zu sehen ist Pitirim selbst, zusammen mit Felix Edmundowitsch dem Fuchs. Man sieht sie auf einem Diwan sitzen, Tee trinken und einander Anekdoten erzählen, wie der Titel des Bildes – Die Anekdotenerzähler – suggeriert.
    Tutunaru lächelt den Fuchs auf dem Gemälde verschmitzt an und erinnert sich an das seltsame Betragen Felix Edmundowitschs in der Zuckerfabrik:
    Dort legte der Fuchs nämlich ein absolut stalinistisches Verhalten an den Tag. Er tötete Ratten, manchmal ließ er sie aus unerklärlichen Gründen laufen, um dann ein Huhn zu reißen, das sich eigentlich vor Felix Edmundowitsch sicher fühlte und sogar mit ihm eine emotionale Bindung eingegangen war. Einmal schnappte sich Felix Edmundowitsch sogar Trotzki, ging mit ihm im Maul über den Hof der Zuckerfabrik spazieren, und als sich Trotzki bereits seines Verderbens und seines bevorstehenden Todes absolut sicher war, in seinem Inneren stoisch die Stationen seines Lebens durchging, ließ Felix Edmundowitsch Trotzki behutsam auf den Boden fallen und eskortierte ihn wieder zurück an seinen angestammten Platz in der Abfüllhalle 2 der Zuckerfabrik von Dondușeni. So gingen sie schweigsam eine Zeit lang nebeneinander, jeder von ihnen mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Und als Trotzki wieder zu den russischen Klassikern zurückkehrte, wurde ihm sein Platz wieder geräumt und sein Ansehen stieg, die Hühner buhlten mit großem Enthusiasmus um seine Gunst und ließen sich gerne von Trotzki besteigen, dem Hahn, der von nun an als der Freund und Weggefährte Felix Edmundowitschs galt. Das wiederum steigerte die Eierproduktion in der Zuckerfabrik, über die sich Tutunaru jeden Morgen freute, und ihn ließ nun der Gedanke nicht mehr los, dass Felix Edmundowitsch über diese Zusammenhänge Bescheid wusste und Tutunaru auf diese Weise seine Zuneigung zum Ausdruck bringen wollte. In seinem Inneren war Tutunaru nämlich schon immer davon überzeugt, dass Felix Edmundowitsch, der Fuchs, der Wladimir Pawlowitsch seinerzeit in gewisser Weise vor dem Selbstmord gerettet hatte, eine faszinierende Persönlichkeit besaß, und manchmal stellte sich Tutunaru vor, dass er mit dem Fuchs bei einem Gläschen Zitronentee in Zuckerfabrikdirektor Hlebniks Datscha säße und Felix Edmundowitsch ihm einen unanständigen Herrenwitz erzählen würde, mit seiner fleckigen rechten Pfote gestikulierend. Dann würde Tutunaru ganz unerwartet das Thema wechseln, um den Fuchs herauszufordern, und ihm eine Frage stellen wie:
    »Was sagen Sie zu Knjasews Rotem Evangelium , mein lieber Felix Edmundowitsch?«
    Darauf würde sich der Fuchs mit seiner seidigen Zunge über die Nase fahren,

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