Zuckerleben: Roman (German Edition)
ihrer eigenen Vertreibung aus der Zuckerfabrik in Verbindung stehen könnte, ohne jedoch zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen.
»Dessen ungeachtet kehren wir wieder zur Lenin’schen Urfrage ›Was tun?‹ zurück, die wir so schnell wie möglich beantworten sollten. Das Telegramm aus Polen ist ja auch schon da …«, bemerkt Pitirim, schaut auf den kleinen über dem Feuer hängenden Topf, in dem Gogols Eier köcheln, entschuldigt sich kurz und verschwindet in die Dunkelheit der moldawischen Nacht.
Alles im Bottich
Tutunaru sitzt auf einer Bohle im Schuppen, Ilytschs ausgelagerte Schnapsbrennanlage blubbert vor sich hin, blubbert und strahlt Wärme aus. Neben Pitirim sitzt Ilytschs Adjutant Filimon der Schweißer, er trägt eine schwarze Lederjacke und eine Traktoristenmütze, die er nach Kosakenart ein wenig schief in den Nacken geschoben hat. Filimons Äußeres ist nach der Vertreibung aus der Zuckerfabrik ein bisschen zerknautscht, zerzaust und zerkratzt, sein finsterer Blick dafür umso feuriger auf die Schnapsbrennanlage gerichtet, als befände sich dort in den Rohren ihr Widersacher Tudorel-Deomid Balmus höchstpersönlich. Die Unabhängigkeitserklärung Moldawiens scheint an Filimon spurlos vorübergegangen zu sein.
»Die haben uns kalt erwischt, die Schurken … Die haben uns bestimmt seit Längerem observiert. Weißt, Tutunaru, manchmal hatte ich das Gefühl, dass da ein paar Milizler im Gebüsch lauern, draußen vor der Fabrik … Ich hätt die Burschen eine Ladung Schrot in die Büsche schießen lassen sollen, damals, um zu sehen, ob sich da was bewegt. Die wussten nämlich genau Bescheid, wie sie uns überraschen, die Klienten. Na ja, im Nachhinein ist man immer g’scheiter …«, murmelt Filimon der Schweißer schlecht gelaunt, dreht mit seiner rechten Hand den Zylinder eines 38er-Revolvers, lässt ihn einschnappen, dreht ihn erneut, in seiner Linken würgt er eine filterlose Weißmeerkanal-Papirossa, an der er in regelmäßigen Abständen gierig zieht.
»Die hätten uns alle über den Haufen schießen können, wenn sie’s gewollt hätten, eigentlich …«
»Na ja, wir sind ja nicht im Bürgerkrieg, um unnötig so ein Blutbad zu veranstalten, das nützt dem Bulibascha ja auch nicht …«
»Und ich sag’s dir, Tutunaru: Wir trommeln gleich jetzt unsere Brigade zusammen, sausen zu diesem Balmus nach Otaci und räuchern ihn dort in seiner Windmühle aus, den Zigeuner!«
Filimon verlautbart noch weitere Vorschläge dieser Art, die Tutunaru allesamt mit dem Hinweis abtut:
»Da wirst du dir ganz schön die Zähne ausbeißen, Filimon … Du wirst nicht mal zwei Schritte in seine Mahala machen können, ohne dass der Bulibascha genau weiß, dass du da bist; ihm gehört doch die halbe Stadt. Ja, und dann? Wie hast du dir das vorgestellt? Dass du vor seinem Anwesen anfängst in die Luft zu ballern und den Bulibascha rausrufst auf die Straße oder was? Glaubst du nicht, dass er ein paar Busladungen von den Burschen, die uns in der Zuckerfabrik vermöbelt haben, auch bei sich in Otaci auf Abruf parat hat? Oder hast du dir das so vorgestellt: Der Bulibascha kommt reuevoll zu dir raus, entschuldigt sich und händigt dir die Schlüssel zur Zuckerfabrik aus? Ich glaube eher, dass er sich nicht mal selber die Finger schmutzig machen, sondern dir ganz banal einen Streifenwagen der Miliz entgegenschicken wird, mit zwei normalen Milizlern drinnen. Und die Milizleute werden dich und deine Brigade stellen und nach den Waffen fragen. Und was erzählst du ihnen? Dass du deine Zuckerfabrik zurückholen kommst? Und da kommst du schon wegen illegalen Waffenbesitzes dran; bestenfalls stecken sie dich in eine psychiatrische Heilanstalt, in die von Costiujeni zum Beispiel, oder du lieferst dir eine Schießerei mit der Miliz, dann kommen mehr von ihnen vorbei und machen euch alle kalt oder verhaften euch. Deswegen: Wir sollten das Pferd nicht vom Schwanz aufzäumen.«
»Und was schlägst du also vor?«
»Wir müssen eine Schwachstelle finden und den Bulibascha dann so rumkriegen, aber das kann nicht mit Gewalt sein – da sitzt der Bulibascha am weit längeren Hebel«, entgegnet Tutunaru, steht auf, geht zum Alkoholbottich mit dem dahingeschiedenen Zuckerfabrikdirektor Hlebnik darin, zieht einen Zipfel des Banners mit dem Spruch Hier imitiert die Kunst nicht das Leben, sondern das Leben selbst wird zur Kunst! zur Seite und starrt Hlebnik an, der im Samagon-Tank schwebt.
Pitirim bemerkt den Helden der
Weitere Kostenlose Bücher