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Zuckerleben: Roman (German Edition)

Zuckerleben: Roman (German Edition)

Titel: Zuckerleben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pyotr Magnus Nedov
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Krankheiten kommen. Ich konnte hören, wie die Druschinniks die für Karatisten typischen Kampfrufe ›Yaa! Yaa!‹ schreien. Und da denke ich mir: Ja, Vadim, hier bist du nicht beim Tannenbäumchen der Futuristen.
    Alle wurden zusammengeschlagen. Die Passanten auf dem Gehsteig genauso wie die Demonstranten mit den Parastas-Kerzen in den Händen, die von den Druschinnik-Karatisten mit den Metallmülleimern der benachbarten Trolleybushaltestelle vermöbelt wurden. Das brachte mich auf den Gedanken, dass die Druschinniks, also diese Art zivile Bürgerwehr, in Wirklichkeit eine zivil getarnte Abteilung der Sonderstreitkräfte sein muss.
    Viele der Opfer wurden von den Patienten der Klinik für ansteckende Krankheiten mit Verbandszeug erstversorgt. Ein Patient aus der Klinik warf einem Verwundeten aus seinem Zimmer im zweiten Stock ein Handtuch zu, damit sich dieser die Platzwunde am Kopf reinigen konnte. Dieses blutige Handtuch flog rein zufällig mir in die Arme. Ich fing es auf und hob es, ohne wirklich darüber lang nachzudenken, in die Luft. Daraufhin wurde ich plötzlich von den noch unverletzten Demonstranten ergriffen und wie eine lebende Standarte bis zu den Tribünen getragen. Die Parteiführer der Moldawischen SSR machten mir wortlos Platz auf der Tribüne und lösten sich angesichts der erzürnten Kolonne der Moldawischen Volksfront wie in Luft auf. Und so stand ich ganz allein dort oben mit dem blutigen Handtuch in der Hand und winkte dem moldawischen Volk zu.«
    Vadim der Maler imitiert sein Winken von damals.
    »Und jetzt, nach weniger als zwei Jahren, haben wir’s geschafft.« Vadim der Maler wirft einen Blick auf seine Casio-Uhr.
    »Seit etwa acht Stunden sind wir ein unabhängiges Land, die Republik Moldova. Gutes Gefühl, nicht wahr? Die Feiheit.«
    Der Ewig Hungrige Historiker Roma Flocosu steht vor dem Lagerfeuer, mit einem angetrockneten Stück Brotfabrik-Brot und einer Metalltasse Samagon in der Hand. Sein Blick ist leer, seine Miene versteinert. Seine Augen hungrig.
    »Ich scheiß mich vor Begeisterung gleich an.«
    Flocosu nimmt einen Schluck von Ilytschs unverdünntem Samagon, knabbert an seinem Brot und denkt sich:
    Das Arschloch. Wenn der Bulibascha uns wenigstens die Wertgegenstände oder die Doktorenwurstvorräte gelassen hätte. Aber nein, der lässt uns lieber hier auf der eisernen Ration sitzen. Hoffentlich friert’s uns hier draußen nicht die Nieren ab.
    Der EHH Roma Flocosu gestikuliert wild mit seinem Stück Brot in der Hand.
    »Aber so ein falscher Fuffziger auch, der Bulibascha! Überleg doch mal: Zuerst murkst er Direktor Hlebnik ab, und dann hat er auch noch den Nerv, uns diesen selbstfabrizierten Schenkungsurkundenwisch aufs Auge zu drücken, und tut auch noch so, als hätte ihm Zuckerfabrikdirektor Hlebnik tatsächlich die Fabrik vermacht, vor seiner Amerika-Abreise! Wie gern hätt ich ihm gesagt, dass der Hlebnik zurückgekehrt ist, aus Amerika …«
    »Das ist auch gut so, Roma – dass der Bulibascha nichts davon weiß, mein ich. Der Direktor wird uns bestimmt noch nützlich sein, in irgendeiner Form. Aber zunächst müssen wir auf eine andere, viel dringendere Frage eine Antwort finden«, gibt Vadim zu bedenken, macht es sich auf einem anderen Holzstamm bequem und stochert mit einem Ast im Feuer herum.
    »Und an welche Frage hast du da gedacht, Vadim?«
    »Warum hat der Bulibascha Zuckerfabrikdirektor Hlebnik überhaupt beseitigen lassen? Ich glaube nämlich, dass es da um viel mehr gegangen sein muss als um 40   Tonnen Zucker oder um Hlebniks Datscha.«
    Roma nickt und versinkt in seinen Gedanken.
    Hinter Vadim stolziert indes der Inspirationshahn des Malers vorbei. Trotzki geht auf das melanzanifarbene tschechoslowakische Gefährt Pitirim Tutunarus zu. Die Hintertür des Fahrzeugs steht offen, und Trotzki springt hinein. Dort sitzen auf einem mit frischem Heu und Gras bedeckten Schuhabstellregal drei Hühner, die der Dondușenier Schwarzmarktspekulant Pitirim Tutunaru und seine Gefährten als die »russischen Klassiker« bezeichnen. Die stoischen Hühnergesichter der russischen Klassiker begutachten misstrauisch die Italienischlehrerin Nadja Pilipciuc, die sich ihnen nähert.
    »Wie kannst du eigentlich immer erkennen, wer von den Klassikern wer ist, Pitirim?«
    Tutunaru schaut plötzlich hinter der letzten Sitzbankreihe seines Minibusses hervor, wirft einen Blick auf die Hühner und sagt:
    »Jetzt von links, ich meine mein links, nach rechts: Gogol, Lermontow und

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