Zuckerleben: Roman (German Edition)
sein Maul spitzen, einen Schluck Tee schlürfen, wie jemand, der um die dramaturgische Bedeutung einer gezielt eingesetzten Pause weiß, um dann so etwas zu antworten wie:
»Ach, was soll ich dazu sagen, das Werk eines mittelmäßigen und vergessenen Dichters.«
»Und die Liebe in der Nachkriegszeit aus Ihrer Sicht, Felix Edmundowitsch?«
»Mädchen lieben Offiziere,
Frauen mehr den Mann am Steuer,
Mädchen lieben wegen Kohle,
Frauen mehr das Holz fürs Feuer.«
»Und wen lieben Sie am meisten, Felix Edmundowitsch?«
»Ich?«, kurze Pause, der Fuchs überlegt, dann hüstelt er und antwortet: »Kinder. Oft habe ich das Gefühl, dass sogar eine Mutter sie nicht so innig lieben könnte wie ich …«
Tutunaru hat Vadim dem Maler mal bei einem Glas von Ilytschs Schnaps von dieser Vorstellung erzählt, und das Resultat war dann das Bild mit dem Fuchs, dem Vadim irgendwie auch mit seinem Pinsel diese stalinistische Atmosphäre eingeprägt hat.
»Und, was verlangen wir für Die Anekdotenerzähler ?« – Der bärtige Vadim steht mit einem sowjetischen Pass und einem Samagonbecher in der Hand hinter Tutunaru.
»Zwei Staatsbürgerschaften, mindestens.«
Vadim lacht.
Sie gehen zurück zum Lagerfeuer.
»Hier, Nadja, dein polnisches Visum, hab ich noch bekommen!«, verkündet Vadim der Maler feierlich und hält der Italienischlehrerin ihren sowjetischen Pass entgegen: »Wenn ich gewusst hätte, dass der Gauner von Bulibascha uns eh den ganzen Schnaps und den Zucker wegnimmt, hätt ich den Arapu nicht so lange damit genervt, dass er den Preis runterdrückt«, und wieder zu Tutunaru gewandt: »Und das Telegramm aus Polen ist auch schon da. Aber, wie man sagt: Was nützt es einem, wenn die Milch dick ist? «
»Welches Telegramm?«
»Von der Tante Agnieszka.«
»Welche Tante Agnieszka?«
»Ich hab da eine Bekannte beim Dondușenier Hauptpostamt, die rothaarige Taisa, sie kann solche Telegramme aus Polen für das nötige Kleingeld und die nötige physische Zuwendung herzaubern …«, gibt Vadim der Maler als Antwort, grinst listig, schnappt sich einen Maiskolben aus der Glut des Lagerfeuers und schält ihn behutsam.
Pitirim Tutunaru zündet sich eine moldawische Kosmos an, nimmt einen kräftigen Zug und erklärt der Italienischlehrerin hierauf in wenigen Sätzen die »Tante-Agnieszka-ist-gestorben.-Komm-bitte-schnell-zum-Begräbnis!«-Methode, die Vadim bereits zweimal auf seinen Polen-Expeditionen erfolgreich angewandt hat, um vom Zoll unbehelligt mit Fleischwaagen und Kunstgegenständen über die polnische Grenze zu kommen, und welche er, Pitirim Tutunaru, für ihre Ausreise nach Italien ebenfalls anzuwenden gedachte:
»Die Methode ist einfach. Schau, wenn du nach Polen verreisen willst und ein Polen-Visum bereits deinen hübschen sowjetischen Reisepass schmückt, machst du Folgendes: Du lässt dir ein Telegramm schicken, aus Polen, in dem du durch polnische Angehörige vom Tod deiner Tante XY – in unserem Fall Tante Agnieszka in Krakau – informiert wirst. Am besten steht dort noch ein Datum, für wann das Begräbnis angesetzt ist. Zwei, drei Tage vor diesem Datum, keinesfalls früher, fährst du los.«
»Aber wozu der ganze Aufwand? Wenn man schon ein polnisches Visum hat?«
Pitirim nimmt einen weiteren Zug von seiner Kosmos und bläst den Rauch langsam aus:
»Mit diesem Telegramm kommst du viel einfacher an Zugtickets, die es offiziell nicht mehr gibt, oder an Platzreservierungen für Züge, die offiziell schon komplett belegt sind, wie zum Beispiel für den Zug von Lwow nach Przemyśl. Da gibt es nämlich ein Sonderkontingent an Plätzen für solche Härtefälle, es ist nur so, dass dir das keiner sagen wird, du musst selber darüber Bescheid wissen, zum Bahnhofs-Chef gehen und auf dein Recht bestehen, im Notfall einen kleinen Skandal veranstalten, indem du ein paarmal dezent auf deine Tante Agnieszka und ihr Begräbnis in Krakau hinweist und dem Bahnhofs-Chef ein kleines Geschenk zusteckst. Der Bahnhofs-Chef redet dann mit dem Zugchef, am besten du steckst dem auch eine Kleinigkeit zu, und so kommst du also in den Zug nach Polen rein, an den ganzen Hunderten von Bürgern vorbei, die nicht in den Zug reingelassen werden und die schon mehrere schlaflose Nächte hinter sich haben. Glaub mir, du willst nicht zu einem von diesen Hunderten Sowjetbürgern gehören, die sich die Koffer mit komplizierten Seilkonstruktionen und kleinen Warnglöckchen um den Körper binden und auf diesen Gepäckbergen wie
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