Zuckerleben: Roman (German Edition)
seinen Bart kichert. Von dieser Vorstellung begeistert tänzelt Ilytsch zwei, drei Schritte zurück und streicht sanft über die Aufschrift MOLDZUCKER auf einem der tausend Zuckersäcke Hlebniks, die sich bis knapp unter die Decke stapeln. Auf Ilytschs Finger bleibt eine dünne weiße Schicht Zuckerstaub haften. Der Held der sozialistischen Arbeit schmeckt den Zucker, der sofort süß-prickelnd auf seiner Zunge zergeht, und strahlt wie eine 700-Watt-Sowchos-Starkstrombirne: Er ist sich sicher, dass das Produkt von allerhöchster Qualität ist. Der Rentner inhaliert gierig eine weitere Prise dieser wunderbaren gezuckerten Luft, die, so scheint es Ilytsch, bereits angefangen hat, sein Leben in eine positive Bahn zu manövrieren.
»Nimm deine Griffel weg von meinem Zucker!«
»Wie bitte?«
»Die 40 Tonnen gehören mir. Ich habe sie zuerst entdeckt«, deklariert Pitirim Tutunaru.
»Und was willst du allein damit, mit 40 TONNEN ZUCKER ?«
Tee trinken, Opa!, will der Moldawier sagen, verkneift sich das aber und antwortet stattdessen:
»Das ist mein Ticket raus aus der Krise, nach Italien, Ilytsch. Und es ist ein Einzelticket.«
»Italien?«
»Italien.«
» ITALIEN ?!«, wiederholt Ilytsch ungläubig.
»Ja, du weißt schon: Pasta, Papst, Pinocchio, Mittelmeer, Chianti, Mafia: ITALIEN eben. Ich verkaufe den Zucker und fahre nach Italien!«
Ilytsch lächelt. Als wollte er sagen: Warum nicht gleich Rio de Janeiro …? Laut sagt Wladimir Pawlowitsch aber:
»Wie kommst du denn da drauf? Bist du ein Fan von Adriano Celentano, oder was?«
»Hör zu, von mir aus kannst du einen 40-Kilo-Sack haben und dir noch zwei Stangen Doktorenwurst aus Hlebniks Räucherkammer nehmen« – Tutunaru deutet auf Hlebniks litauische Räucherkammer, in der der Fuchs Felix Edmundowitsch schon viel früher fündig geworden ist –, »aber damit hat sich die Sache dann auch.«
Ilytsch holt seinen Kamm hervor, stellt fest, dass der erst kürzlich im Zuckerfabrik-Kiosk erworbene Gebrauchsgegenstand infolge der unharmonischen Auseinandersetzung mit dem Sowjetvolk in der rayonalen Zuckerfabrik zerbrochen ist, und verteilt mit dem längeren Teil in der Hand sein spärliches Haaraufkommen gleichmäßig zu beiden Seiten seiner Geheimratsecken.
»Weißt du, was das hier ist?«, fragt Ilytsch und klopft wieder gegen die Glaskugel.
»Klar.«
»Und was?«
»Eine Destillierblase.«
»Und wofür braucht man eine Destillierblase?«
»Um Schnaps zu brennen.«
»Aha. Und wozu braucht man diese Dinger hier?«, fragt Ilytsch und deutet auf die länglichen Rohre neben der Destillierblase.
»Auch um Schnaps zu brennen. Wirst du mich jetzt jeden Bestandteil einzeln abfragen?«
Ilytsch lässt sich nicht aus der Fassung bringen und wartet.
»Das ist eine Schnapsbrennanlage. Hlebnik hat sie in ihre Einzelteile demontiert und in seine bescheuerten Nüchternheitskomitee-Plakate verpackt. Das sieht doch jeder Idiot«, sagt der junge Moldawier.
»Was, meinst du, hat Hlebnik damit gemacht?«
»Willst du mich jetzt verarschen?«
»Du willst also sagen, dass er damit Schnaps gebrannt hat?«
»Natürlich.«
»Und was hat er deiner Meinung nach dazu verwendet, als Rohstoff?«
»Na, seinen Zucker. Wozu sonst hätte er einen Tunnel von seiner Datscha zur Zuckerfabrik graben sollen? Sicherlich nicht, um eine Abkürzung zu seinem Direktorenbüro zu haben.«
»Gut. Du meinst also nicht, dass er einfach nur ein paar Tonnen Zucker unter der Hand verkaufen wollte?«
»Natürlich nicht. Schnaps bringt doch viel mehr Geld ein als Zucker! Hlebnik ist sicher ein bisschen verrückt, aber ich glaube nicht, dass er ein Idiot ist. Ein Idiot baut so was nicht.«
Ilytsch schnippt mit den Fingern.
»Rekapitulieren wir also: Wir haben hier Hlebniks Staatsdatscha. Das ist das eine. Was ist in ihr drin? In ihr befinden sich allerlei defizitäre kostbare Dinge: Eingemachtes, geräucherte Doktorenwurst und derlei mehr. Und, was wichtiger ist: ein getarnter unterirdischer Tunnel, der Hlebniks Staatsdatscha mit der rayonalen Zuckerfabrik verbindet. Darüber hinaus zwei Hauptelemente: zum einen 40 Tonnen Zucker und zum anderen eine komplette Schnapsbrennanlage. Richtig?«
»Richtig.«
»Warum willst du dann die 40 Tonnen Zucker verkaufen, anstatt sie zu Samagon zu verarbeiten und dann den Schnaps an den Mann zu bringen?«
»Weil ich vom Schnapsbrennen keine Ahnung habe; und ich will auch niemanden mit amateurhaft gepanschtem Samagon ins Jenseits befördern. So
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